Belarus

Warten auf den Sturm


Von Felix Ackermann (E-Mail: ewropa@gazeta.pl, Tel.: 00375-152-54 03 52)

Grodno (n-ost) - Das Haus aus gelben Klinkern in der Stadt Grodno im Westen von Belarus (Weißrussland) steht unter Beobachtung. Man erkennt die Männer vom KGB daran, dass sie besonders unauffällig sind. Derweil haben sechs alte Frauen in Kopftüchern am Eingang einen Sicherheitskorridor gebildet. Sie mustern jeden Besucher genau: einen von Kruczkowskis Leuten würden sie nicht über die Schwelle lassen. Tadeusz Kruczkowski ist gerade als Vorsitzender des Bundes der polnischen Minderheit in Weißrussland demokratisch abgewählt worden, weil er als Mann des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gilt. Doch die Reaktion des Staates kam postwendend: ein weißrussisches Gericht setzte Kruczkowski wieder ein. Seitdem nehmen die Spannungen zwischen Polen und Belarus dramatisch zu. Die polnische Minderheit erhält Unterstützung aus Polen bis hin zu Staatspräsident Alexander Kwasniewski. Derweil bezichtigt die Regierung Lukaschenko das Nachbarland, auf einen gewaltsamen Umsturz hinzuarbeiten. Vor einigen Tagen verwies das Regime in Minsk den polnischen Diplomat Marek Bucko des Landes, Warschau reagierte darauf mit der Ausweisung einiger belarussischer Diplomaten.

In Grodno sitzt die neu gewählte Vorsitzende des Bundes der Polen in Belarus, Andzelika Borys, in ihrem Büro vor einem Bild des polnischen Aufstands-Helden Kosciuszko und meint kämpferisch: „Jetzt zeigt sich, wer wirklich Pole ist.“ Da klingelt das Telefon und Borys eilt sofort in die kleine Bibliothek im Keller, um den Fernseher einzuschalten. Erneut sendet der erste staatliche belarussische Kanal eine Reportage über die polnische Minderheit. Tenor: sie bereite mit Hilfe des Westens einen bewaffneten Aufstand vor. In Polen würden in geheimen Lagern Terroristen für den Einsatz in Belarus ausgebildet. Als Kronzeugen treten Kruczkowski und seine Leute auf. Borys lacht bitter. „Ich hatte doch angekündet, dass wir keine Politik machen werden! Alles was wir tun, ist für unser Recht als Minderheit zu kämpfen.“

Nur 250 Kilometer von hier diskutiert fast zur gleichen Zeit das Warschauer Institut für Internationale Beziehungen über die politische Zukunft von Belarus. Das Motto der Konferenz lautet: „Wann beginnt der Sturm?“ Die geladenen Experten teilen sich in drei Lager: die Pessimisten, wie der ehemalige Sprecher Lukaschenkos, Aliaksandr Fieduta, sagen eine Verschlechterung der Situation in Weißrussland voraus. „Wer den Präsidenten kennt, weiß: er wird nicht nachgeben. Ein Machtverlust würde für ihn den Tod bedeuten.“ So werde der Autokrat unter keinen Umständen zulassen, dass in seiner Umgebung ein Gegenkandidat für die 2006 anstehenden Wahlen heranwachsen könnte.

Die Pragmatiker von der oppositionellen belarussischen „Koalition 5+“ halten sich frei an das Motto: „Was uns nicht umbringt, macht uns stark.“ Viaczeslau Areshka weist darauf hin, dass man Veränderungen in Belarus aus dem Inneren heraus bewirken müsse. „Immer öfter sind nicht ökonomische Belange Grund für die Unzufriedenheit der Bevölkerung, sondern die sich verringernden Chancen auf freie Entfaltung“, argumentiert Areshka.

Boris Kuznetsov, Leiter des St. Petersburger Trinktanks „Strategia“, erinnert die nach Brüssel blickenden Teilnehmer der Konferenz nachdrücklich daran, dass jede Veränderung in Belarus mit Moskau auszumachen sei. Er konstatiert: „Die Situation in Weißrussland ist zu einem innenpolitischen Faktor in Russland geworden, da die Politik Lukaschenkos in weiten Kreisen hohes Ansehen geniest und ein weiterer Verlust im „nahen Ausland“ einer geopolitischen Katastrophe gleich käme.“

Zu den Optimisten gehört der Kiewer Analyst Volodymyr Horbach. „Wer vor den ukrainischen Präsidentschaftswahlen die Revolution in Orange voraussagte, hätte nur ein mildes Lächeln geerntet“, erinnert Horbach. Im Grunde genommen sei die Situation in Belarus heute ähnlich. Aber es gäbe aber auch viele Unterschiede. So gibt es anders als in der Ukraine in der weißrussischen Opposition kaum Politiker, die selbst in den präsidialen Machtstrukturen agiert hätten. Andere Teilnehmer bemängelten, die Uneinigkeit der Opposition in zentralen Fragen.

Der einzige gemeinsame Nenner ist in Warschau die Schaffung einer weißrussischen UKW-Radiostation, die von Polen, Litauen und der Ukraine aus nach Belarus senden könnte. „Aufgrund der rigiden Verfolgung aller unabhängigen Medien brauchen wir für diesen Informationskrieg Unterstützung von der Europäischen Union“, betont Anatoli Lebedzko von der Vereinigten Bürgerpartei.

In Minsk und Grodno spitzt sich derweil die Situation zu. Am Dienstag wurden der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei in Belarus, Mikola Statkewitsch, und der Leiter einer Jugendbewegung, Pawel Sewerinez, in Minsk zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie im Oktober vergangenen Jahres eine Demonstration mit 2000 Teilnehmern organisiert hatten. Gleichzeitig befinden sich in einer Wohnung am Stadtrand von Minsk elf Jugendliche im Hungerstreik, um gegen die Entfernung oppositioneller Studenten von Universitäten zu protestieren.
In Grodno sucht zeitgleich Andrzej Pisalnik, Chefredakteur der Zeitung des Bundes der Polen, händeringend nach einer Druckerei. Das staatliche Druckkombinat hatte zum ersten Mal in fünfzehn Jahren den Andruck verweigert – angeblich wegen einer ausstehenden Rechnung. Keine andere Druckerei will die „Stimme vom Ufer der Memel“ drucken. Bereits seit drei Wochen ist keine Zeitung erschienen. Pisalnik, der zuvor für die oppositionelle „Pahonia“ gearbeitet hat, lächelt: „Überall wo ich auftauche gibt es Ärger. Ich wette die Polizisten, die den Laden hier räumen, kenne ich schon von den letzten Demos.“ Seinem Kollege Andrej Poczebut, der selbst kürzlich nach dem Paragraphen 51 – Präsidentenbeleidigung vier Wochen im Gefängnis saß, ist nicht zum Lachen zu Mute: „Der Bund der Polen wird ganz sicher liquidiert. Er ist mit 25.000 Mitgliedern die größte NGO im Land. Er ist unabhängig. Das ist unerträglich für den Präsidenten. Man muss also mit dem Schlimmsten rechnen. Die Frage ist nur, was mit dem ganzen Eigentum wird, den vielen polnischen Häusern, den Schulen. Die wurden komplett von Polen bezahlt.“

Der Wagen der Beobachter vom KGB hat wieder einmal gewechselt. Vor dem Haus des Bundes der Polen fotografiert eine Korrespondentin der oppositionellen Zeitung „Nasza Niwa“ die Statur des romantischen Nationaldichters Mickiewicz, der einst über das Leben im polnischen Osten schrieb. Dahinter hängt ein Transparent: „Wir harren aus im Land unserer Ahnen“ – ein Zitat der Hymne des polnischen Kampfes gegen Bismarcks Germanisierungspolitik im Westen Polens
Derweil wird die Chefin des Bundes unter ihrem Kosciuszko-Wandteppich weiter unter Druck gesetzt. Das Telefon klingelt: Tadeusz Kruczkowski ist am Apparat und fordert sie auf, das Haus zu verlassen. Er komme mit seinen Leuten zurück, um den Bund zu leiten und die Zeitung herauszugeben. Ein Sturm des Büros scheint unmittelbar bevorzustehen. Die Frauen am Eingang sind bereit. „Wir haben vor nichts mehr Angst“, ruft eine von ihnen. „Wir haben den Krieg, Sibirien und die Kollektivierung überlebt. Das stehen wir auch durch!“


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