Usbekistan

Karimow säubert sein Land

Die Rechnung des usbekischen Präsidenten Islam Karimow scheint aufzugehen: So plötzlich Usbekistan in die internationalen Schlagzeilen geriet, so plötzlich ist es auch wieder aus ihnen verschwunden. Am 13. Mai, wurden Massenproteste in der usbekischen Stadt Andischan (350.000 Einwohner) im östlichen Fergana-Tal blutig niedergeschlagen. Möglicherweise bis zu Tausend Menschen – darunter Frauen und Kinder – wurden von den Kugeln der Sicherheitskräfte getötet. Doch der Aufschrei der Weltpresse war nur von kurzer Dauer. Das ist kein Zufall: Während Karimow eine internationale Untersuchung der Ereignisse strikte ablehnt, versucht er mit systematischen Verhaftungen und Repression einen dicken Mantel des Schweigens um den wahren Hergang der Dinge zu legen.

„In Andischan betreiben die Geheimdienste eine totale Bespitzelung und Einschüchterung jener Leute, deren Verwandte durch Soldaten getötet oder die Zeugen solcher Tötungen wurden“, berichtet freeuz.org – die Webseite des usbekischen Komitees für Redefreiheit. „Ich habe solche Angst, ich will nichts, ich will keine Gerechtigkeit. Sagen sie unsere Namen nicht, sagen Sie nicht, dass sie bei uns waren“, sagte eine von Human Rights Watch zitierte Frau.
Aus Angst vor neuen Protesten werden derweil in ganz Usbekistan Menschenrechtsaktivisten verhaftet oder unter Hausarrest gestellt. Ende Mai nahm die Polizei zudem 50 Aktivisten der nicht registrierten Oppositionspartei „Birlik“ (Einheit) in Gewahrsam, die in der Hauptstadt Taschkent zum Parteitag und einer Protestkundgebung zusammenkommen wollten.

Opfer der Repressionen sind auch Journalisten – insbesondere usbekische Reporter, die für ausländische Medien tätig sind und Zeugen der blutigen Ereignisse waren. „Ich möchte warnen: Ich kenne dutzende Journalisten, die ich nicht als Freunde Usbekistans ansehe“, sagte Karimow gemäß der unabhängigen Webseite tribune-uz.info. Als ausländischer Journalist ist es derzeit praktisch unmöglich, eine offizielle Akkreditierung zu erhalten. Für Reisende sind die Grenzen hingegen offen und wer durch die Touristenstädte Buchara, Chiwa und Samarkand im Süden des Landes reist, wird wohl kaum bemerken, wie sehr es unter der Oberfläche brodelt.

Während das Regime kritische Stimmen zum Schweigen bringt, benützt es die unter totaler staatlicher Kontrolle stehenden Medien zur Stimmungsmache in eigener Sache. So schreibt etwa die Zeitung „Prawda Wostoka“ im Artikel „Zur Verteidigung der Souveränität des usbekischen Volkes“: „In Verbindung mit den Ereignissen in Andischan, geht das usbekische Volk durch eine schwere Prüfung, herbeigeführt durch heimische religiöse Fanatiker und ihre ausländischen Sponsoren. Opfer und Betrogene dieser Personen, die im Land den totalen Terror sähen wollen, sind die friedlichen Bürger von Andischan.“ Mit den „ausländischen Sponsoren“, so wird später im Artikel deutlich, sind vor allem die westlichen Nichtregierungsorganisationen und namentlich die „Open Society Foundation“ von George Soros gemeint. Soros würde auch die regimekritische Internetplattform fergana.ru unterstützen, deren Redakteuren im Artikel vorgeworfen wird, „Mutter Heimat zu verkaufen“. Aber Geld stinke ja bekanntlich nicht, selbst wenn es mit dem Blut von dutzenden Menschen getränkt sei, an deren Schicksal auch solche „Väter der freien Rede“ Schuld hätten, fährt der Text fort. Den westlichen Medien wird zudem vorgeworfen, einen Informationskrieg gegen Usbekistan zu führen.

Was aber trug sich wirklich zu am Freitag dem 13. Mai – islamistischer Terror oder Volksaufstand? Präsident Islam Karimow machte in seiner Fernsehansprache am 14. Mai „Banditen und Terroristen“ verantwortlich, die zu der verbotenen islamistischen Partei Hizb ut-Tahrir gehörten, die in Usbekistan ein Kalifat unter islamischem Recht errichten möchte. Diese hätten in der Nacht zum 13. Mai eine Polizeistation und eine Militärbasis überfallen, sich bewaffnet und anschliessend mehrere hundert Häftlinge – darunter auch 23 Geschäftsleute, die wegen Zugehörigkeit zur verbotenen islamischen Bewegung Akramija vor Gericht standen – aus einem Gefängnis befreit. Menschenrechtsaktivisten und Augenzeugen berichten jedoch, dass Verwandte und ehemalige Angestellte der 23 inhaftierten Geschäftsleute aus Unmut über das in ihren Augen ungerechtfertigte Gerichtsverfahren das Gefängnis gestürmt hätten.

Die angeklagten Unternehmer verneinen jeglichen Extremismus. Sie hätten lediglich versucht, islamische Prinzipien in ihre Geschäftstätigkeit zu integrieren. Mamudschan Kurbonow, einer der Angeklagten, erklärte am 8. Mai in einem Interview mit der Deutschen Welle, er sei unter Androhung von Gewalt gegen ihn und seine Familie gezwungen worden, ein Geständnis zu unterschreiben.

Gemäß einem in der russischen Zeitung „Wersia“ erschienenen Bericht steht hinter dem Prozess gegen die „Akrimisten“ ein Machtkampf zwischen verschiedenen Klans und Sicherheitsdiensten auf höchster politischer Ebene: Das Gerichtsverfahren sei die Strafe Karimows, weil sich der Andischan-Klan mit dem Taschkent-Klan gegen den Klan des Präsidenten – den Samarkand-Klan – verschworen habe.

Nach der Befreiung der Häftlinge besetzten die Aufständischen das Gebäude der Gebietsadministration. Sie forderten die Freilassung aller politischer Gefangenen in Usbekistan – laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch rund 8.000 Personen. Als sich die Nachricht darüber verbreitete, gingen die Bürger Andischans zu Tausenden auf die Strasse, um für bessere Lebensbedingungen zu demonstrieren. Ein Redner nach dem anderen sprach über Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und Menschenrechtsverletzungen. „Wir demonstrierten für ein würdevolles Leben, denn das Leben ist unerträglich geworden“, meinte Gulnosa, eine nach Kirgisien geflüchtete Usbekin, gegenüber Radio Liberty.

Nachdem das Regime die Forderungen nach der Befreiung der politischen Gefangenen abgelehnt hatte, fielen die Schüsse. Obwohl Karimow bestreitet, den Schussbefehl erteilt zu haben, berichten Augenzeugen, dass die Sicherheitskräfte aus Panzerwagen heraus das Feuer auf die Menge eröffnet hätten. Unter den Demonstranten sei niemand bewaffnet gewesen. „Ich duckte mich. Die Kugeln zischten über mich. Ich schaute und sah, wie eine Kugel ein Kind hinter mir in den Kopf traf. Sein Gehirn zerplatzte in alle Richtungen. Wir waren mit Gehirn und Blut bedeckt“, erzählte eine Augenzeugin Radio Liberty.
Während das Regime immer noch von 170 Toten spricht, berichten Einwohner von Andischan über Massengräbern ausserhalb der Stadt. Dort liegen wohl die Opfer des 13. Mai, die noch am selben Tag auf Lastwagen abtransportiert wurden. Wie viele Gräber es sind, ist jedoch unklar. Die Person, die Reporter von Radio Liberty zu einem Grab in Bogishamol führte, wurde tags darauf erstochen. Laut einem Bericht von Human Rights Watch werden auch die lokalen Friedhöfe vom Geheimdienst überwacht.

Der 67-jährige Karimow, der seit gut 15 Jahren über eines der totalitärsten Regime unserer Zeit herrscht, hat sich offensichtlich entschlossen, den bereits seit einiger Zeit eingeschlagenen Weg in die Isolation weiter zu gehen. Eine von den USA, der EU und der UNO geforderte unabhängige Untersuchung lehnt er strikt ab. Am 25. Mai reiste Karimow zu einem Staatsbesuch nach China, um sich der Unterstützung der Volksrepublik – einem ständigen Mitglied im UNO-Sicherheitsrat mit Vetorecht – im Kampf gegen den Terrorismus zu versichern.

Im Reich der Mitte, das 1989 eine demokratische Bewegung ebenfalls blutig niederschlug, hat Karimow noch Freunde. Auch Russland, das wohl auf einen Bruch zwischen den USA und Usbekistan hofft, hat dem zentralasiatischen Diktator seine Gunst noch nicht entzogen, ebenso wie die Nachbarstaaten Tadschikistan und Kirgistan. 

Karimows Zukunft wird wohl entscheidend von der Entschlossenheit der Internationalen Gemeinschaft und insbesondere der USA, die in Usbekistan einen Militärstützpunkt unterhält, abhängen.
Allerdings kann auch die Lage im Land selbst leicht außer Kontrolle geraten: „Die Menschen in Andischan hassen Karimow und ich denke, diese Gefühle verbreiten sich. Die aktuelle Situation in Usbekistan ist für Karimow sehr gefährlich und soziale Unruhen können durch kleinste Ereignisse entstehen“, so der Journalist Andrej Babitskij.


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