„Fußball gegen den Schiedsrichter“
Grodno/Warschau (n-ost) - Europas letzter Diktator dürfte langsam nervös werden. Denn der Umsturz hat schon einen Namen: die Kornblumen-Revolution. Seit der orangefarbenen Revolution in der benachbarten Ukraine nehmen auch die Regimekritiker Weißrusslands das Wort „Revolution“ in den Mund.
Mikola Markiewicz ist Chefredakteur der unabhängigen Zeitung „Pahonia“ in Grodno. „Das Beispiel der Ukraine gibt uns Hoffnung“, sagt er. Gleichzeitig bemerkt Markiewicz, der nach der gewaltsamen Schließung seiner Zeitung im Jahr 2001 für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis musste, eine neue Repressionswelle. Sie richte sich gegen die nicht zensierte Presse. Ziel sei es, bis zu den Präsidentschaftswahlen 2006 alle unabhängigen Zeitungen durch regimetreue Produkte zu ersetzen. Markiewicz erwartet mehr europäisches Engagement. „Von außen kann man seelenruhig die Diktatur beobachten. Wir müssen täglich damit leben!“ klagt er.
In Brest kämpft die Stiftung „Unser Turm“, die über 100 Bürgerinitiativen und gesellschaftliche Vereine überdacht, täglich ums Überleben. Ständig findet die Stadtverwaltung neue Gesetzesverstöße, die die Arbeit der Stiftung behindern. Ein oppositioneller Maler in Grodno sagt: „Hier zu leben ist wie Fußball spielen gegen den Schiedsrichter.“ Alena Raubetskaya, Chefredakteurin der unabhängigen Zeitung „Birga Informacii“, hat sich gerade die Haare orange gefärbt. „Ich bin stolz auf die Ukraine! Ich bin stolz, dass sie unsere Nachbarin ist!“ sagt sie.
So einfach jedoch lässt sich das Beispiel der Ukraine nicht auf Belarus übertragen. Die Menschen werden systematisch schikaniert, Opposition gibt es nur außerhalb des Parlaments, sie ist zersplittert. Auf dem Land leben die Menschen größtenteils noch wie zu Sowjetzeiten in unpolitischer Lethargie. Lukaschenko flimmert als väterlicher Beschützer, der sein Volk heldenhaft vor der feindlichen NATO rettet, täglich über die Bildschirme. Nur fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung haben Zugang zum Internet. Auch die relativ stabile Wirtschaftslage der ehemals reichsten sowjetischen Republik verschafft dem Regime Stabilität.
Die Beziehungen zwischen Lukaschenko und seinem Amtskollegen Wladimir Putin sind eng. Immer wieder haben Minsk und Moskau in den vergangenen Jahren weitere Verträge zur Zusammenarbeit geschlossen. Putin bezeichnete das manipulierte Referendum im vergangenen Jahr, mit dem sich Lukaschenko eine dritte Amtszeit ermöglichte, als „frei und fair“. Während die Ukrainer derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, sind die Polen die größten Hoffnungsträger der weißrussischen Opposition.
Und Aleksander Lukaschenko hat diese schwache Stelle erkannt. Mit einer neuen Repressionswelle versucht er derzeit sein Land weiter zu isolieren: Sie richtet sich vor allem gegen die 400.000 Angehörigen der polnischen Minderheit, die vorwiegend im Westen Weißrusslands in der Gegend von Grodno leben. Nach der Neuwahl des Vorstandes im polnischen Minderheitenverband vor zwei Wochen, griff die Regierung in Minsk entgegen internationaler Abmachungen ein und ließ die Wahl für ungültig erklären, was eine schwere diplomatische Krise zwischen beiden Ländern zur Folge hatte.
Polens Staatspräsident Alexander Kwasniewski trug das Thema sofort auf die europäische Ebene: „Ich hoffe, dass die Europäische Union ihre Autorität nutzt, um auf diese Ereignisse mäßigend einzuwirken“, erklärte er beim Gipfeltreffen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jaques Chirac im französischen Nancy.
Bei der Konferenz des Europarats vergangene Woche in Warschau, auf dem unter den 46 teilnehmenden Staaten aus ganz Europa allein Weißrussland fehlte, bezeichnete der polnische Außenminister, Adam Rotfeld, die „ständigen Verletzungen aller demokratischen Prinzipien und Menschenrechte“ durch Weißrussland als „inakzeptabel“. Dariusz Szymczycha, enger politischer Berater Kwasniewskis, sagt: „Das Beispiel Ukraine zeigt seine Wirkung auf Weißrussland. Lukaschenko ist nervös. Er tauscht seine Minister aus. Wir wollen in der EU anregen, die Zivilgesellschaft zu stärken.“
Vincuk Viacorka, einer der wichtigsten weißrussischen Oppositionellen, analysiert: „Lukaschenko weiß, dass Polen wichtiger wird, wenn die EU eine Politik gegenüber Minsk definieren und umsetzen will.“ Die Frage ist nur, ob die EU wie im Falle der Ukraine noch einmal gewillt ist, Polen zu folgen.
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Name der Autorin: Mia Raben