Polen

Keine Leichenplastination in Polen

Sienawia Zarska (n-ost)- Die Arbeitslosenquote in Sieniawa, einem kleinen polnischen Ort kurz hinter der Neisse, liegt bei annähernd 30 Prozent. Als ein Deutscher den alten Fabrikkomplex im Ortszentrum kaufte, um dort bis zu 300 neue Arbeitsplätze zu schaffen, war die Euphorie deshalb sehr groß. Doch die Sache hat einen Haken, der in den polnischen Medien heftig diskutiert wird und gar zu deutsch-polnischen Verwicklungen führte. Bei dem Investor handelt es sich um den umstrittenen Heidelberger Leichenpräparator Gunter von Hagens, der mit seiner Ausstellung „Körperwelten“, die in Plastik eingelegte Menschen- und Tierleichen präsentiert, international für Aufsehen sorgt.

Als Gerüchte die Runde machen, von Hagens wolle in Sieniawa Leichenteile von Menschen und Tieren plastinieren und für den internationalen Versand vorbereiten, schlagen im katholischen Polen die Emotionen hoch. Vergleiche mit Methoden der Nazis in Auschwitz werden gezogen, die dort Lampenschirme aus Menschenhaut herstellen ließen. Und als von Hagens 89-jähriger Vater Gerhard Liebchen, der in Sieniawa die Geschäfte führte, im März vom „Spiegel“ als ehemaliger SS-Mann enttarnt wird, sieht man in Polen die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Liebchen hat sich inzwischen zurückgezogen, gegen ihn ermittelt die polnische Staatsanwaltschaft wegen möglicher Teilnahme am Völkermord.

Sieniawas Gemeindevorsteherin Krystyna Korzeniowska droht mit Demonstrationen, „wenn der Deutsche nicht von hier verschwindet“. Auch Gemeindebürgermeistersekretär Andrzej Chwiedacz stellt sich quer: „In Polen haben wir einen sehr stark entwickelten Respekt vor dem Tod. Diese Fabrik wird nie akzeptiert werden. Ich habe mir zwar gewünscht, dass unsere Gemeinde weltbekannt wird, aber doch nicht auf Grund von so etwas!“ Nicht zuletzt Roman Sujka, der Pfarrer von Sieniawa, ist dagegen: „Das ist etwas Unmenschliches.“ Und die polnische Staatsanwaltschaft in Zielona Gora kündigt gesetzliche Schritte gegen von Hagens an. „Laut Paragraph 262 Strafgesetzbuch steht der menschliche Leichnam und der Ort seiner Bestattung unter besonderem Schutz“, sagt der Bezirksstaatsanwalt Jan Wojtysiak aus Zielona Gora. „Im polnischen Gesetz sind Möglichkeiten der Leichenpräparierung nicht vorgesehen.“

In Sieniawa gibt es aber auch andere Stimmen. Der 40-jährige Automechaniker Pawel Bryczkowski hat sich die Fotos von präparierten Leichen zu Hause angesehen und will nun sogar seinen Körper nach seinem Tod zur Verfügung stellen. „Was stört es mich. Wenn jemand meine Organe sehen will, bitte sehr“. Und der 29-jährige Grzegorz Lenda meint: „Im Oktober vorigen Jahres habe ich auf eine Stellenanzeige geantwortet. Man hat tierliebe Mitarbeiter gesucht. Für die Arbeit hier in Polen hat mir von Hagens 300 Euro pro Monat angeboten.“ Da sei es egal, dass es bei der Arbeit um Tierleichen ginge: „So gut bezahlte Arbeit finde ich hier nirgendwo sonst und jede Arbeit ist doch gut.“ Ein 30-jähriger Arbeitsloser unterstützt ebenfalls den Deutschen: „Wenn es nötig wird, rufe ich ein paar Kumpels und wir werden die Gegner ruhig stellen“.

Bis zuletzt kämpft auch Gunter von Hagens weiter für sein Projekt. Unter anderem läd er die Bewohner von Sieniawa Zarska per Reisebus an sein Institut für Anatomie nach Heidelberg ein, um dort Ausstellungsexponate sowie die Herstellung der Leichenpräparate zu studieren. Allerdings nehmen nur fünf Einwohner die Einladung an.
Am vergangenen Wochenende fährt der Anatom schließlich persönlich mit seiner Frau und seinem Sohn nach Sieniawa, um mit Bewohnern, Gemeindevertretern und den Medien über seine Pläne zu sprechen.

Als von Hagens eintrifft, demonstrieren Gegner und Befürworter des Projektes vor dem Veranstaltungsort. Der 76-jährige Antoni Nowak murmelt: „Das Ganze ist eine Schweinerei, es ist eklig“, während er sich die Poster mit „Körperwelten“-Exponaten ansieht, die an den Wänden des frisch renovierten Kultursaals hängen.
„Ich bin hierher gekommen, um Informationen mit ihnen auszutauschen und ihre Meinung kennen zu lernen“, eröffnet von Hagens das Treffen. „Ich bin Arzt, Anatom, Kunststoffchemiker, Erfinder, Wissenschaftler und nicht etwa Künstler.“ Der Deutsche stellt in Aussicht, zehn Millionen Euro in Sieniawa zu investieren, um dort Präparate aus Elefanten oder Giraffen herzustellen. Er zeigt Filme, spricht über die Geschichte der Medizin und die Demokratisierung der Anatomie und versucht an die religiösen Gefühle der Zuhörer zu appellieren: „Ich wollte in Polen investieren, weil Polen katholisch sind und das Christentum immer anatomiefreundlich war.“ Die Dorfbewohner werden ungeduldig und als von Hagens einen plastinierten und aufgeschnittenen menschlichen Kopf als „Kirchenfenster mit anatomischen Informationen“ bezeichnet, ist die Empörung groß. „Du bist doch bescheuert!“, ruft ein Mann.

Anstatt die unentschiedenen Zuhörer auf seine Seite zu ziehen, sieht sich von Hagens schließlich einer breiten Abwehrfront gegenüber. Am Ende resigniert er: „Ich muss ganz klar sagen, ich habe mich geirrt. In 100 Jahren, wenn ich selbst ein Exponat sein werde, bin ich mir sicher, wird es dann auch in Polen ein Museum für meine Exponate geben. Ich bin eine Generation zu früh hierher gekommen.“ Seine Hallen in Sieniawa wolle er nun nur noch als Lager und zur Instandsetzung von Geräten nutzen.

Die meisten Einwohner nehmen dies mit Erleichterung auf. Gemeindevorsteher Jan Dzyga lädt von Hagens noch zu einem Kaffee ein, was nicht jedem im Saal gefällt. Aber da ist die Veranstaltung und das Kapitel von Hagens in Zieniawa schon beendet.

*** Ende ***


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