Der Maluch ist der Größte
Olsztyn/Zielona Gora (n-ost) - Er ist klein, altmodisch, unbequem und langsam – und doch in Polen ist er höchst populär: der Fiat Polski 126p. Die Polen nennen ihn zärtlich „Maluch“, was man mit „Kleiner“ oder auch „Winzling“ übersetzen könnte. Mehr als 3,5 Millionen Maluchs liefen von 1971 bis zum Produktionsstopp im Jahr 2000 in Polen vom Band. Knapp 900.000 Exemplare wurden sogar exportiert – nach Italien, Osteuropa, Kuba, China aber auch nach Frankreich, England und Holland. Während auf den ostdeutschen Straßen Trabant, Wartburg & Co. heutzutage Exoten sind, ist der Maluch immer noch Alltag im Straßenverkehr zwischen Oder und Bug. Zwar gehört es auch für Jan Kowalski, der Otto Normalverbaucher Polens, zum guten Ton, ein ausländisches Fabrikat zu fahren, aber das Herz vieler Polen hängt noch an dem alten Fiat Polski.
In das zwei Meter lange, 1,40 Meter hohe und genauso breite Auto passt eine durchschnittliche polnische Familie hinein. Der Vater kauert hinter dem Lenkrad, daneben die Mutter mit dem Gepäck auf den Knien, weil der kleine Fiat eigentlich über keinen Kofferraum verfügt. Auf der Rückbank finden noch zwei Kinder und die Schwiegermutter Platz, letztere mit den Beinen unter dem Kinn. Mit fünf Personen an Bord erreicht das 24 PS starke Auto noch eine Geschwindigkeit von 100 Km/h. Probleme gibt es bei diesem Tempo allerdings mit dem Bremsen, denn der Bremsweg ist dann ungefähr so lang wie bei einer Lokomotive. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 120 Km/h, aber dann verliert man schon die Kontrolle über das Fahrzeug. Zudem machen starke Windstöße oder ein vorbei fahrender LKW dem Fiatfahrer das Leben und Lenken schwer. Nach etwa einer Stunde Fahrt braucht der Wagen mindestens fünf Minuten Pause, weil der Motor abkühlen muss – einen Kühler gibt’s in dem Auto nicht. Deshalb fahren auch viele Wagen mit geöffneter Motorklappe, die sich beim Fiat Polski hinten befindet.
Der Maluch diente Jahre lang nicht nur als PKW sondern auch als Transporter – auf seinem Dach transportierte man alles - von großen Möbelstücken bis zu Waschmaschinen.
Der kleine Fiat ist ein sparsames Auto, er verbraucht je nach Alter, Zustand und Geschwindigkeit zwischen 3,5 und 7,5 Liter Benzin. Mit den 21 Liter, die im Tank Platz finden, kommt man durchschnittlich 400 Kilometer weit - wenn der Motor durchhält. Aber der kluge Pole weiß Rat: Abgerissene Keilriemen – ein Dauerproblem beim Maluch, lassen sich leicht durch Strumpfhosen ersetzen. Und zum Starten reicht im Notfall oft ein einfacher Besen. Nach etwa 8.000 Kilometern muss der Motor überholt werden. Die Ersatzteile, die noch bis 2010 produzieren werden, sind aber sehr kostengünstig. Ein kompletter Satz neuer Bremsbeläge ist schon für 75 Euro zu haben.
Der Maluch ist perfekt für Herbst und Frühling. Im Sommer funktioniert er wie eine Sauna und im Winter wie ein Kühlschrank. Im Winter friert das Auto ständig von innen an und man muss pausenlos die Vorderscheibe von innen abkratzen. Für etwas Abkühlung für die Passagiere im Sommer sorgen die Rostlöcher im Fußboden, die schon bei zweijährigen Maluch langsam aber sicher auftreten. Eine Fahrt über Pfützen sorgt für nasse Füße. Dafür aber ist der kleine Fiat in der Lage, über jeden Bodenbelag zu fahren: jedes Rad verfügt über eine getrennten Aufhängung und die Stoßdämpfer wurden den schlechten polnischen Straßen angepasst. So ist erst kürzlich in Zielona Gora (Grünberg) ein kleiner Fiat der Polizei entkommen, weil er im Gegensatz zum Polizeiwagen, einem nagelneuen Skoda Fabia, querfeldein über einen Acker fahren konnte.
Vor allem die jüngere Generation schwört heute auf den Zweizylinder. Die 29-jährige Agnieszka aus Olsztyn (Allenstein) ist stolz auf ihren 13 Jahre alten roten Maluch: „Ersatzteile gibt es überall, die Versicherung ist günstig, er ist einfach zu fahren und billig“. 500 Zloty (etwa 125 Euro) kostete ihr Gebrauchtwagen, den Spott der Kollegen und Freunde gibt es gratis dazu. Der 22-jährige Daniel aus Ketrzyn (Rastenburg) fährt seinen 126er seit mehr als zwei Jahren - und muss alle zwei Monate etwas an ihm reparieren. Kupplung, Reifen oder das Licht, irgendwas ist immer kaputt. „Es ist unwichtig, wie viel Zeit und Geld du in ihn steckst, wie viel Zeit du in der Garage verbringst. Der Maluch ist ein Auto mit Herz und großer Seele.“ Der 49-jährige Tomasz Gorski lenkt seinen Maluch aus Liebe zum polnischen Automobilwesen. „Ich bin Patriot, deshalb fahre ich Maluch“, meint er. Er ist stolz auf seinen Wagen, schließlich begleitet ihn dieser schon 24 Jahre. „Ich kenne ihn genau so lange wie meine Frau.“
Mit dem Ende des Kommunismus ging es bergab mit dem Maluch. Die beiden staatlichen Werke in Warschau und Bielsko-Biala wurden Anfang der 90er Jahre privatisiert, Fiat und die südkoreanische Autofirma Daewoo übernahmen das Kommando. Umstrukturierung, Modernisierung und Massenentlassungen waren die Folge. September 2000 verließ letztmals ein Maluch das Werk. Er steht heute im Fiatmuseum in Turin.
Der Abschied vom Maluch hat eine Nostalgie-Welle losgetreten: Im Internet gibt es Webseiten zahlreicher Maluch-Fanclubs. Das Computer-Spiel „Maluch-racer“ findet östlich der Oder reißenden Absatz, so dass vor kurzem eine zweite Version auf den Markt kam. Und vielleicht erfasst das Maluch-Fieber mit Verspätung auch noch die Autonation Deutschland: Demnächst soll eine deutschsprachige CD-Version von „Maluch-racer“ erscheinen.
*** Ende ***