Ukraine

Ein Fest – nicht für die Kleinhändler

Allen Kiewern werde es nach dem Schlagerwettbewerb, der Eurovision besser gehen, versprach Oberbürgermeister Alexander Omeltschenko vor einem Jahr. Nun – nicht allen. Denn während die Hotelbesitzer, die Wohnungsvermieter und die Taxifahrer in diesen Tagen Rekordsummen verdienen, führt das Stadtoberhaupt einen Kampf gegen die Kleinhändler und Trödler der Stadt. Die Eurovision dient ihm dabei als Vorwand.

Dunkel ist sie und ein bisschen unheimlich – die U-Bahn-Passage am Kiewer Tolstoj-Platz. Trotzdem kommen die Kiewer nicht nur hierher, um schnell ans andere Ende der Stadt zu gelangen. In dem niedrigen Gewölbe drängen sich die Menschen um kleine Verkaufsstände. Batterien gibt es in allen Größen, illegal kopierte Computerspiele und Zigaretten – stückweise.

Seit vier Jahren schon verkauft der 27-jährige Wiktor Nikolajewitsch in der Passage am Tolstoj-Platz – Spielzeugautos und Plastiktierchen mit Elektroantrieb. Für ihn sind die Pläne des Bürgermeisters existenzbedrohend: „Uns wurde zwar ein anderer Standort versprochen, irgendwo außerhalb. Aber mein Spielzeug kann ich nur hier, in der Innenstadt verkaufen“, sagt er. Warum die Stadtoberen ihm und seinen Kollegen den Krieg erklärt hat, weiß Wiktor Nikolajewitsch nicht. Aber man munkele, dass der Oberbürgermeister seine eigenen Verkaufsstellen im Zentrum einrichten wolle.

Nein, die Supermärkte und Warenhäuser seien es, die Omeltschenko für seinen Feldzug bezahlen würden, sagt der 25-jährige Maschinenbau-Student Oleh Wasiljewitsch. Er finanziert sein Studium, indem er Batterien in einem U-Bahn-Eingang verkauft – und so gehe es vielen Kommilitonen. Insgesamt stünden knapp 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, meint Oleh. Er will dem nicht tatenlos zusehen. Hunderte von Händlern, darunter Oleh, marschierten vergangene Woche durch die Straßen Kiews. Inzwischen räumte die Stadt dem Kleingewerbe eine Schonfrist bis Anfang Juni ein. Demonstrationen während der Eurovision, so verstanden sie, würden sie in Schwierigkeiten bringen.

Schlechter erging es den Trödlern am Heumarkt in der Kiewer Innenstadt. Sie musste ihren Buden Anfang April abbauen – das Areal soll für 4,5 Millionen Dollar an eine Investmentfirma verkauft worden sein. Der Heumarkt selber, einer ältesten Fleisch- und Gemüse-Märkte Kiews, wurde gleich mitgeschlossen. Er soll in ein schickes Einkaufszentrum verwandelt werden.

Kiew putzt sich heraus für die Eurovision, die Prachtstraße Chreschtschatyk ist extra frisch asphaltiert worden. Nur ein kleines Detail hier störte bis vor kurzem die Vorfreude der Stadtoberen auf den Schlagerwettbewerb. Direkt vor dem Rathaus, mitten auf dem Gehsteig, ließen sich Demonstranten nieder. Drei Wochen lang schliefen sie hier in Zelten, wie bei der orangefarbenen Revolution vor einem halben Jahr – diesmal aus Protest gegen den Ober-Bürgermeister.

Nicht nur die geplante Verbannung der Kleinhändler war den jungen Leuten ein Dorn im Auge. Es sei höchste Zeit, gegen die Korruption im Rathaus vorzugehen, sagte der Vorsitzende der Protest-Organisation Serhij Melnitschenko. Am deutlichsten werde die Korruption an den illegalen Neubauten, die überall in der Stadt entstünden, so Serhij. „Dafür werden sogar Spielplätze zerstört, auch Parks und denkmalgeschützte Häuser“. Und die Wurzel des Übels? Die sitze im Rathaus, denn solche Baugenehmigungen bekomme man nur durch üppige Schmiergelder.

Bis zur Eurovision wollten die Jugendlichen in ihren Zelten durchhalten – um dem „zivilisierten Europa“ ihren Protest zu zeigen. Doch dieser Plan schlug fehl. Vor wenigen Tagen überfiel nachts ein Schlägertrupp die Demonstranten, zwei von ihnen erlitten Knochenbrüche. Wer der Auftraggeber war, ist unbekannt. Einige Tage später räumten die Jugendlichen das Feld.

Wiktor Nikolejewitsch, der Spielzeughändler, dagegen hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Noch stemmt sich der Verband der Kleinhändler gegen die Vertreibung aus der Innenstadt. Dabei habe er doch gar nicht dagegen, für die Zeit der Schlagerwettbewerbes das Feld zu räumen, sagt er. „Wenn alle feiern, dann will mich auch lieber mit ein paar Kumpels zum Bier zusammensetzen. Schließlich müssen wir unsere Musiker anfeuern.“


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