Tschechien

Deutsche Neonazis finden Freiräume in Tschechien


von Thorsten Herdickerhoff (E-Mail: t.herdickerhoff@gmx.de, Tel. 00420 - 222 733 521, Mobil 00420 - 737 887 252)


Prag (n-ost) Sie gehen heimlich vor. Ihr Deckmantel ist das Private, ihr Versteck sind Kleinstädte kurz hinter der Grenze zu Tschechien. In Jablonne v Podjestedi, kaum 20 Kilometer vom sächsischen Zittau entfernt, trafen sich Ende März rund 400 Neonazis zu einem Konzert. Als private Geburtstagsfeier war es organisiert worden von dem tschechischen Zweig der Skinhead-Vereinigung „Blood and Honour“ (Blut und Ehre), die Besucher kamen allerdings zum Großteil aus Deutschland. Warum? „Deutsche Neonazis können in Tschechien Konzerte von Bands wie 'Final War' besuchen, die in Deutschland Auftrittsverbot haben“, weiß ein Aktivist der tschechischen Bürgerinitiative „Tolerance a obcanska spolecnost“ (Toleranz und bürgerliche Gesellschaft). Die Bürgerinitiative schätzt die Zahl tschechischer Rechtsradikaler auf etwa 2500 Aktive.

Grenzübergreifende Veranstaltungen mit deutschen Neo-Nazis sind nicht neu. Schon 2001 erregten ähnlich große Treffen in Tschechien Aufsehen. Die Musik scheint ein gewichtiger Grund zu sein für das Zusammengehen von deutschen und tschechischen Neonazis. Seit in Deutschland der Konzertveranstalter „Blood and Honour“ verboten ist, reisen Neonazis verstärkt zu Konzerten jenseits der Grenze.

„Blood and Honour“ ist ein international agierendes Netzwerk, sein erklärtes Ziel: die Verbreitung rechtsextremer Ideologie über Musik. Auf diesem Weg sollen vor allem junge Menschen angesprochen werden. Dazu organisiert das Netzwerk Konzerte und vertreibt CDs, aber es bietet auch Broschüren an und unterhält Webseiten. Das Konzept hat Erfolg, wie die Entwicklung der rechtsextremen Musikbranche zeigt.

In Deutschland verbreitete das Musik-Netzwerk fünf Jahre lang seine Ideologie, bis die Behörden es verboten wegen seiner „rassistischen und antisemitischen Ausrichtung“. Es propagiere die „Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zugunsten eines Führerstaates nationalsozialistischer Prägung“, hieß es in der Begründung des Verbots.

In Tschechien ist die Organisation weiterhin erlaubt, wie auch in der Slowakei, Dänemark, Schweden, den USA und vielen anderen Staaten. Zu den Konzerten wird immer wieder über Ländergrenzen hinweg eingeladen, so auch zu der Veranstaltung im nordböhmischen Jablonne. Die Konzertbesuche im Ausland dienen oft als Tarnung für Absprachen, bei denen auch Gewalttaten vorbereitet werden, meint der schwedische Rechtsextremismus-Experte Stieg Larsson.

Deutsche Neonazis treten in Tschechien bisher nicht als Gewalttäter auf, sondern als Ideen-Geber. Der tschechische Geheimdienst BIS verzeichnete in seinem bislang aktuellsten Bericht aus dem Jahre 2003 eine Dezentralisierung in der rechtsextremistischen Szene des Landes. Es entstanden zusehends lokale und unabhängige Gruppen, die sich für größere Aktionen nur mehr kurzfristig zusammenschließen. Ohne zentrale Leitung und beständigen Kontakt untereinander erschweren sie es der Polizei wirksam einzugreifen. „Die Grundsätze autonomen Handelns übernahm die tschechische neonazistische Szene von entsprechend organisierten deutschen Gruppen“, heißt es im letzen Geheimdienst-Bericht des BIS.
Vermittelt wurde dieses konspirative Know-How über die Organisation „Narodni odpor“ (Nationaler Widerstand), mit der deutsche Neonazis schon gemeinsam in Prag demonstrierten.

Diese Zusammenarbeit mag auf den ersten Blick unverständlich sein. In der nationalsozialistischen Rassen-Ideologie galten Slawen als „Untermenschen“, die Nazis besetzten 1939 Tschechien und unterdrückten die nicht-deutsche Bevölkerung. Aber die Neonazis in Osteuropa blenden diese Teile der Geschichte aus und brauen eine neue rassistische Ideologie zusammen. Mitte der 90er Jahre erschien in einem Vereinsheft der deutschen Abteilung von „Blood and Honour“ ein Leserbrief mit dem Titel „Serben sind Freunde“ von der serbischen Sektion des Netzwerkes „Blood and Honour“. Sie forderte zu innereuropäischer Zusammenarbeit auf, denn es gehe schließlich um den „Kampf für die Einheit der weißen Nationen“. Nationalistische und chauvinistische Vorbehalte sollten aufgegeben werden zugunsten der rassistischen Idee eines weißen pan-europäischen Ariertums, zu dem sich auch die Osteuropäer zählen. In Deutschland werden diese Ideen offensichtlich angenommen, wie die Zusammenarbeit zeigt. Erwähnt sei auch, dass Hitlers Buch „Mein Kampf“ erst vor kurzem in Tschechien nachgedruckt wurde und im Handel frei verkäuflich war.

Ondrej Cakl, Kopf der tschechischen Bürgerinitiative „Tolerance“, kritisiert die staatlichen Stellen wegen ihres laxen Umgangs mit Rechtsradikalen. Die Polizei schreite zu selten ein, bei Konzerten rechtsradikaler Gruppen, wie auch bei Übergriffen gegen Roma in der Straßenbahn, und die Gerichte fällten zu wenige und zu milde Urteile. All das stärkt das Selbstbewusstsein der Rechtsextremisten mit der Folge, dass sie öfter und gewaltsamer in der Öffentlichkeit auftreten. Dies erst ruft dann die überraschten Politiker auf den Plan.

Nach den insgesamt drei neonazistischen Konzerten in Tschechien in den letzten Wochen war es wieder soweit. Innenminister Frantisek Bublan kündigte nachträgliche Strafverfolgungen an, wenn die Konzert-Aufzeichnungen der Polizei Hinweise auf Straftaten gäben, wie zum Beispiel antisemitische oder rassistische Liedtexte. Insgesamt zeigt er sich aber nicht beunruhigt durch das erneute Aufflackern rechtsextremer Aktivitäten. „Ich will nicht bagatellisieren, aber drei Aktionen kann man nicht als Trend bezeichnen. Gemäß der Langzeit-Statistiken nehmen solche Aktionen sowie die Anhängerschaft extremistischer Gruppen sogar ab“, beschwichtigte Bublan.

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Thorsten Herdickerhoff


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