Perlen für die Platte
Hermannstadt (n-ost) – Unter Nicolae Ceausescu war Rumänien eine besonders graue Filiale des Warschauer Paktes. Der Diktator hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung in normierten Plattenbauten zu konzentrieren. Planierraupen walzten gewachsene Dorfstrukturen platt, ein Ring von Trabantenstädten legte sich um fast alle Städte des Landes.
Der Diktator ist längst Geschichte, aber seine Betonklötze lassen sich schwerlich wegbewegen. Sie atmen den Geist des Kollektivismus. Jede Plattenbauwohnung ist normiert, Besucher wissen gleich, wo sich die Toilette befindet. Doch nun revolutionieren die Kinder der Kommunisten den Einheitslook von einst.
„Ein Berghäuschen der Träume“ titelt „Caminul“, ein rumänisches Magazin für Inneneinrichtung, und trumpft mit einer Fotoserie auf, die den Leser in die rustikale Gemütlichkeit eines Holzchalets entführt. Das Konkurrenzblatt „Domus“ präsentiert seinen Lesern Häuser voller Licht und Wärme. Und so geht es munter weiter: „Casa Lux“, „Deco Style“, „Ideal Decor“ – an rumänischen Kiosken schnellt die Zahl der Innendesign-Fachzeitschriften in die Höhe. Sogar ausländische Magazine wie „Art&Decoration“ und „Maison Francaise“ sind zu bekommen.
Die Rumänen richten sich neu ein. Durch alle rumänischen Großstädte weht dieser Trend. Im 170.000 Einwohner zählende Hermannstadt (Sibiu) sind in den letzten Jahren nicht nur Cafés, Restaurants und Bars mit ansprechendem Ambiente wie Pilze aus dem Boden geschossen, auch zahlreiche Privatleute haben sich ihre Unterkunft fachmännisch aufmöbeln lassen. Es sind gerade die Eigentümer von Blockappartements, die sich nach Individualismus sehnen.
„Was sucht man? Man sucht Vielfalt und einen Ausweg aus der Monotonie. Mein Nachbar, meine Freunde, alle haben wir dieselbe Wohnung – darum muss ich aus dieser Einförmigkeit ausbrechen“, meint Pompiliu Pavel. Der Jurist hat soeben die drei großen Wohnräume seines Appartements in einem Block am belebten Mihai-Viteazu-Boulevard für sich und seine Frau herrichten lassen. „Wenn sich das Appartement in einer guten Lage und in einem guten Block befindet, dann gehört es inzwischen dazu, dass du einen Designer beauftragst.“
Wer es sich leisten kann, der nimmt sich einen Spezialisten. Designer Catalin Mustata und seine zehn Mitarbeiter haben gut zu tun. Der Gründer der Firma „Werk Ambiental Design“ hat bereits über 20 Appartements im Hermannstadt umgestaltet. „Der Rumäne bewegt sich weg vom Massendenken des Kommunismus, hin zum Individualismus. Er will etwas für sich und nicht das, was alle haben“, urteilt Mustata.
Sein wichtigstes Aktionsfeld sind die engen Blockwohnungen. „Die Mehrheit lebt nun mal in den viel beschrieenen Einheitsblocks, in Wohnungen mit fixen Strukturen“, sagt der Designer. Hier werde seine Kunst besonders gefordert, zumal die meisten Rumänen kaum Geld für große Sprünge haben. Doch Not macht erfinderisch:
Wo ein Zimmer an ein anderes Zimmer grenzt, lässt Mustata schon mal ein Loch in die Wand schlagen und modelliert die Konturen mit speziellem Gips zu orientalischen Bögen um. Gerne stellt er auch füllige Säulen in Zimmerecken, oder arbeitet mit antik wirkenden Reliefen oder filigranen Stuckverzierungen. Große Schiefersteine und Gitterwerk arbeitet er als ungewöhnlichem Schmuck in die Wände ein. Wo es mit dem Geld sehr knapp ist, zerbricht Mustata simple Baumarkt-Fliesen in feine Stücke, legt verspielte Mosaiken. Sein Meisterstück waren Wandlampen, die er aus einem ganzen Stapel mittelalterlicher Dachziegel anfertigte, die von einem Gebäudeabriss übrig geblieben waren. Mustata ist Stammgast auf dem sonntäglichen Flohmarkt, bedient sich zudem grundsätzlich an allem, was die örtlichen Läden zu bieten haben. Und das wird immer mehr. Wie überall in Rumänien erleben Heimwerkermärkte und Deko-Läden einen Höhenflug.
„Meiner Meinung ist das erst der Anfang. In den nächsten zehn, fünfzehn Jahren wird noch sehr viel geschehen“, kommentiert Gabriel Tischer, Manager des Baustoffhandels „Twin Trading“, die Entwicklung. „Die Leute wollen neue Häuser baue, etwas anbauen und viel mehr. Die Nachfrage ist so groß, dass die rumänischen Hersteller nicht mitkommen“, so Tischer.
Noch dringt allerdings die erwachte Fantasie in den Innenräumen nicht nach außen durch. Außen bleibt die Platte trist. Die Wohnungen wurden privatisiert, Eigentümervereine sind gemeinschaftlich verantwortlich für die Unterhaltung der Wohnhäuser. Die Kosten für die Erneuerung der Fassade müssten die Einwohner aus einer gemeinsamen Kasse begleichen. Zieht eine Partei nicht mit, bleibt die Fassade eben Steingrau oder Schmutzigweiß.
Wer Geld übrig hat, steckt es lieber ins eigene Reich. Und wer gar nichts hat, dem bleibt immerhin noch der Gang zum nächsten Kiosk. Beim Blättern in den einschlägigen Deko-Magazinen lässt sich vom Leben im individuell gestalteten Reich wenigstens träumen.
*** Ende ***