Polen

Schwieriger Weg der Versöhnung


Von Benjamin Haerdle (E-Mail: bhaerdle@gmx.de, Tel.: +49-0341/308 20 99)

Lodz (n-ost). „Ich habe den Deutschen verziehen”. Die 80-jährige Polin Kazimiera Paszkiewicz findet vor einer Paderborner Schülergruppe deutliche Worte für eine furchtbare Zeit. Von Februar 1940 bis April 1945 war sie fünf Jahre lang Zwangsarbeiterin auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Paderborn. 60 Jahre und zwei Generationen später steht sie im April auf der Terrasse ihres Einfamilienhauses in Lodz und erzählt deutschen Schülern aus ihrer Vergangenheit.

In einem Dörfchen nahe der Stadt Schneidemühl träumte die damals 14-Jährige von Argentinien. Verschleppt wurde sie ins Westfälische. Sie landete auf einem Bauernhof in Paderborn-Sennelager. Ihr Leid endete erst mit dem Einmarsch der amerikanischen Armee im April 1945. Dazwischen lagen fünf lange und harte Jahre der Zwangsarbeiterschaft. Von fünf Uhr morgens bis in die tiefe Nacht schuftete sie auf dem Hof, häufig auch sonntags. Sie versorgte Haus, Hof und das Vieh. Ihr Lohn: Zehn Mark pro Woche und jede Menge Schläge, Demütigungen und Erniedrigungen. Die Mahlzeiten waren karg. Zum Frühstück gab es Brot und Rübensirup, mittags eine Suppe, abends Brot und sonntags ein Stückchen Fleisch. Monatlich gab ihr die deutsche Bäuerin etwas Seife und wie zum Hohn einmal zu Weihnachten ein Paar unterschiedlicher Socken.

Es sind tragische Geschichten wie die von Kazimiera Paszkiewicz, denen ein von der Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” gefördertes Projekt des Paderborner Ludwig-Erhard-Berufskollegs auf den Spuren ist. Vom nordpolnischen Olsztyn aus besuchen die Schüler zusammen mit polnischen Germanistikstudenten neun ehemalige Paderborner Zwangsarbeiter in ganz Polen. In Interviews wollen die Gymnasiasten mehr über deren Schicksal im Dritten Reich erfahren. „Deutsche und Polen sollen sich trotz leidvoller gemeinsamer Geschichte mit Respekt und Freundschaft begegnen“, erläutert Deutschlehrer und Projektleiter Christoph Marx das Ziel des Projekts.

Wie manche andere vor allem westdeutsche Städte und Gemeinden hatte auch Paderborn das traurige Kapitel der Zwangsarbeiter in ihrer Stadt in einem Forschungsprojekt aufarbeiten lassen. Knapp 1900 überwiegend osteuropäische Zwangsarbeiter waren zum Beispiel 1943 in Paderborn eingesetzt – bei der Reichsbahn, in Brot- und Möbelfabriken, in der Landwirtschaft oder bei der städtischen Müllabfuhr. Äußerst aufwendig war 60 Jahre danach die Adressensuche für die Paderborner Historikerin Christa Mertens. Doch immerhin 130 polnische Überlebende und 46 vor allem aus Russland und der Ukraine stammende Ostarbeiter konnte sie noch ausfindig machen. Im Jahr 2003 traf eine Paderborner Delegation in Warschau und Donezk viele von ihnen. In einer „symbolischen Geste“ übergab Bürgermeister Heinz Paus jedem Zwangsarbeiter 400 Euro Entschädigung.

Die Lodzer Zwangsarbeiterin Kazimiera Paszkiewicz schützte nach dem Krieg trotz all der Demütigungen ihre deutschen Peiniger. Diese hielten im Haus verbotenerweise ein Gewehr versteckt, doch die Polin, befragt von amerikanischen Soldaten, sprach nur Gutes über die Bauern und bewahrte sie vor einer harten Strafe. “Ich hatte Mitleid. Mein Gewissen hätte mich nicht ruhen lassen”, sagt sie heute. Ihre Paderborner Leidensgeschichte hielt für sie immerhin ein kleines Happy-End parat. Im Juni 1945 heiratete sie einen polnischen Mitgefangenen. Es gab ein Fass Bier, Wodka und jemand spielte Akkordeon, erzählt sie und wirkt glücklich lächelnd wie ein frisch verliebter Teenager.
Mit Ehemann und hochschwanger ging sie ein Jahr später nach Polen zurück. Heute lebt sie in Lodz. Von ihrem vor kurzem verstorbenen Ehemann hat sie drei Kinder, dazu noch Enkel und einen Urenkel.

Ihre Geschichte hat sie so noch niemand erzählt. Zu groß war ihre Furcht, dass Erinnerungen und Ängste wieder hochkommen. “Diese Jahre haben mein Leben verändert”, sagt sie und man sieht ganz kurz, wie die Tränen in ihre Augen schießen.
Ähnlich negativ beurteilen einige der von den Schülern besuchten Zwangsarbeiter ihre Zeit in Paderborn. Anderen jedoch ging es in Deutschland besser als in seiner alten Heimat, etwa Aleksander Tymoszczuk aus Wierzbica. Er wollte nach dem Krieg nicht mehr wieder zurück nach Polen. „Paderborn hat er als Chance gesehen und sich über die Arbeit in einem Reichsbahnausbesserungswerk sehr gefreut“, meint der 19-jährige Schüler Jan Markus, der ihn interviewte. Von Hass auf die Deutschen ist in den meisten Gesprächen, die die Schüler führten, nichts zu spüren. Ebenso sind sie überrascht, dass viele Interviews nüchtern und emotionslos verliefen.

Etwas Erregung kommt bei Kazimiera Paszkiewicz aber dann doch auf. Es ist das leidige Thema der Entschädigung, das ihrer Stimme einen ärgerlichen Unterton verleiht. 2500 Zloty (ca. 600 Euro), so sagt sie, habe sie von der Bundesregierung erhalten. Zu wenig für fünf Jahre harte körperliche Arbeit, an deren Folgen sie heute noch leide, wie sie findet. Geteilte Zustimmung findet sie dabei bei den polnischen Studenten. Ewa Wegorzewska kann nachvollziehen, dass sie mehr Geld haben möchte. Verständnis hat sie aber auch dafür, dass Deutschland nicht mehr geben wolle. „Die heutige Generation ist für das damalige Unrecht nicht verantwortlich“, meint sie.
Mit Deutschland hat Kazimiera Paszkiewicz abgeschlossen. Auch wenn sie die Schüler mit der typischen polnischen Gastfreundschaft empfing, sie hält Distanz zum westlichen Nachbarn. Nach Deutschland will nicht mehr. „Ich würde dort nicht mehr wohnen wollen”.

*** Ende ***


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