Gross bereitet seinen Rücktritt vor
von Thorsten Herdickerhoff (E-Mail: t.herdickerhoff@gmx.de, Tel. 00420 - 222 733 521, Mobil 00420 - 737 887 252)
Prag (n-ost). Der umstrittene Premier Stanislav Gross hat zum ersten Mal seit drei Monaten in Aussicht gestellt, sein Amt aufzugeben. Damit neigt sich die heißeste Phase der Regierungskrise in Tschechien ihrem Ende zu. Doch der jetzt offen stehende Weg zur Neubildung des Kabinetts und einer funktionierenden Regierung ist steinig. Premier Gross (CSSD) knüpfte seinen Rücktritt an mehrere Bedingungen, die jedoch nicht erfüllbar sind. Vor allem die Forderung, keiner der Spitzenpolitiker aus den Koalitionsparteien dürfe in der neuen Regierung ein Amt übernehmen, stößt auf Ablehnung und Unverständnis.
Die neu zu bildende Regierung sollte laut Gross wieder aus den drei Parteien der zerbrochenen Koalition bestehen, der sozialdemokratischen CSSD, der christlich-demokratischen KDU-CSL und der liberalen US-DEU. Den Vorsitz soll ein Sozialdemokrat haben, wie Präsident Vaclav Klaus es letzten Dienstag angeboten hat. Die Hauptaufgabe des neuen Kabinetts bis zu den Wahlen im nächsten Jahr sieht der noch amtierende Ministerpräsident in der Unterzeichnung des EU-Vertrages.
Die Christdemokraten begrüßten die mögliche Neuauflage der bisherigen Koalition. Es sei aber Sache der Partei, wen sie ins Kabinett schicken würde. Die Liberalen sind ebenfalls bereit, über alle Vorschläge zu verhandeln, die zu einem Ende der Regierungskrise führen. Die restlichen Vorschläge von Gross müssten Gegenstand späterer Verhandlungen sein, meinte der Vorsitzende der liberalen US-DEU, Justizminister Pavel Nemec.
Die Haltung der beiden kleinen Koalitionspartner zeigt deutlich, dass sie so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung schaffen möchten - ohne die Kommunisten, ohne Gross, und ohne seine anmaßenden Forderungen zu erfüllen. Die dringendste Frage für die Umsetzung ihrer Pläne lautet jetzt: Wann geht Gross? Die Zeitung "Pravo" zitierte am Donnerstag Kulturminister Pavel Dostal (CSSD), der Premierminister könnte am heutigen Samstag bei einem Treffen der sozialdemokratischen Parteispitze zurücktreten und so die Regierungskrise beenden. "Ich schließe nicht aus, dass dies passiert.", sagte Dostal.
Über einen Nachfolger aus den Reihen der CSSD wird bereits spekuliert. Die tschechische Presse ist sich weitgehend einig und tippt auf Jan Kohout, den EU-Botschafter Tschechiens. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Abgeordneten, Michal Kraus, bestätigte am gestrigen Freitag, dass Kohout unter den gehandelten Kandidaten sei. Ein anderer hoher Funktionär sagte, man denke auch über Jiri Dienstbier nach, den ersten Außenminister nach der Wende 1989.
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Thorsten Herdickerhoff