Einsamer Premier will nicht weichen
Prag (n-ost) - Das Tauziehen um Regierungschef Stanislav Gross in Prag geht weiter. Obwohl fünf Minister ihren Rücktritt eingereicht haben, Gross auf die Unterstützung der geächteten Kommunistischen Partei angewiesen ist und der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus ihn systematisch in die Enge treibt, klebt der sozialdemokratische Premierminister an seinem Stuhl. In der Kabinettssitzung am Mittwoch entschied sich eine Mehrheit der Minister gegen einen Rücktritt der ganzen Regierung. Der von den Liberalen (US-DEU) eingebrachte Vorschlag wurde am Ende der Sitzung besprochen, aber noch nicht abgestimmt. Gross bekommt erneut eine Atempause, aber nur für kurze Zeit. Die zwei noch amtierenden liberalen Minister wollen das Kabinett Gross verlassen, falls nicht die gesamte Regierung zurücktritt.
Bisher haben fünf von achtzehn Ministern ihren Rücktritt eingereicht. Premier Gross hält dennoch weiterhin an seinem Plan fest, eine Minderheitsregierung zu bilden und sie von den geächteten Kommunisten (KSCM) tolerieren zu lassen. Die Liberalen (US-DEU) würden als zweiter Koalitionspartner ihre Minister aus der Regierung zurückziehen. Vor einer Woche verließen bereits die Minister der christlich-demokratischen KDU-CSL das Kabinett und kündigten den Koalitionsvertrag mit der CSSD auf. Sie wollen den Rücktritt von Gross erreichen, der wegen der ungeklärten Finanzierung seiner Eigentumswohnung seit drei Monaten in der Kritik steht.
Präsident Klaus hält es für untragbar, dass der Zerfall der Regierung das Land noch weitere Monate lähmt. Er lehnte erneut die Rücktrittsgesuche der Minister ab, die aus dem Kabinett scheiden wollen. Damit greift er indirekt Gross an, indem er ihn daran hindert, schnell die gefürchtete Minderheitsregierung zu bilden.
Mit einem weiteren Schachzug am Dienstag erhöhte Klaus noch den Druck auf Gross. Der Präsident gab bekannt, bei einem eventuellen Rücktritt der Regierung wieder die Sozialdemokraten (CSSD) mit der Neubildung eines Kabinetts zu beauftragen, weil sie die stärkste Fraktion im Parlament ist. Damit entsprach er einer Forderung der Liberalen. Zudem deutete Klaus an, dass die formal noch bestehende alte Mehrheitskoalition auch die neue Koalition sein werde, aus CSSD, KDU-CSL und US-DEU. Das entspricht dem oft geäußerten Wunsch der Christdemokraten. Als sie letzte Woche den Koalitionsvertrag aufkündigten sagten sie klar, dass sie wegen Gross gingen und unter einem neuen Premier die alte Koalition fortführen wollten.
Doch die Prager Sozialdemokraten stehen weiterhin hinter dem umstrittenen Regierungschef und wollen ihn trotz des wachsenden Drucks nicht fallenlassen. „Die Tschechische Republik hat einen Premier", machte Bohuslav Sobotka deutlich, Finanzminister und Vizepräsident der CSSD. Sein Kollege Jiri Paroubek senkundierte: „Die CSSD hat niemals über einen anderen Premierminister als Gross nachgedacht.“ Ob diese Haltung alle Minister der CSSD teilen, blieb in der gestrigen Kabinettssitzung offen.
Die Mehrheit des Kabinetts sprach sich nun zwar gegen die Auflösung der Regierung aus, aber die klärende Abstimmung vertagten die Minister.
In der Bevölkerung regt sich ebenfalls Widerstand gegen die Möglichkeit einer Minderheitsregierung unter Einfluss der Kommunisten. Am gestrigen Mittwoch traf sich die Gruppe „Zrusme komunisty“ („Weg mit den Kommunisten“) auf dem Platz des Friedens in Prag, um Unterschriften zu sammeln gegen jeglichen Einfluss der KSCM auf die Regierungsgeschäfte. Studenten gingen am Tag zuvor mit einem Spiegel, in dem sich der Premier selbst erkennen sollte, ins Regierungsbüro und forderten dort den Rücktritt von Stanislav Gross. Letzten Freitag schickte die Vereinigung der ehemaligen politischen Gefangenen einen offenen Brief an Präsident Klaus, in dem sie ihn aufforderte, nicht mit den Kommunisten zu verhandeln. Er solle nicht denselben Fehler machen wie der frühere Staatspräsident Benes im Februar 1948.
Der Vergleich mit der Machtübernahme durch die kommunistische Partei vor 57 Jahren taucht öfter auf. Die jetzige Krise erinnert auch Präsident Klaus an den Februar '48. Seine engsten Mitarbeiter betonen dabei, dass es keine Medienrhetorik sei: "Präsident Klaus wird sicher nicht die Rolle spielen wollen, die Benes einst innehatte."
Damals nahm Benes die Rücktrittsgesuche der Minister von Volkspartei und der Sozialisten an, womit er dem damaligen kommunistischen Premier, Klement Gottwald, den Weg zur Macht öffnete. Heute ist die Lage nicht ganz so dramatisch, aber das Trauma der kommunistischen Diktatur sitzt offensichtlich tief.
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Thorsten Herdickerhoff