„Ich wäre auch ins Ausland gegangen, notfalls auch illegal" / Interview mit dem CDU-Politiker Volker Rühe
Anfang April besuchte Volker Rühe, CDU-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, die Ukraine. n-ost-Korrespondentin Marianna Kavka hat mit ihm in Kiew über die Orangene Revolution, die Perspektiven des Landes und über den deutschen Visa-Skandal gesprochen.
Herr Rühe, sie haben die Ukraine in den vergangenen Monaten gleich drei Mal besucht und ihre Entwicklung verfolgt, sind Sie mit der Orangenen Revolution zufrieden?Rühe: Die Orangene Revolution war der entscheidende Schritt und jetzt geht es um ihre Ausstaffierung. Ich glaube, dass die neue Regierung bislang das gemacht hat, was die Bevölkerung sich erhofft hat. Das wichtigste ist, dass es ein neues Vertrauensverhältnis zwischen den Regierenden und den Regierten gibt. Wenn es das gibt, lässt sich alles durchsetzen, was notwendig ist, auch schwierige Entscheidungen. Man muss aber sehen, dass die Revolution gerade mal zwei Monate her ist, ein sehr kurzer Zeitraum. Entscheidend geändert hat sich, dass die Ukraine international heute ein ganz anderes Gewicht hat. Mit diesem Gewicht muss man wuchern. Mein Eindruck ist, dass es hier sehr viele fähige, sehr professionelle Politiker gibt, die anders als unter dem vorherigen Präsidenten Kutschma große Einflussmöglichkeiten haben.
Das Land will nach Westen, in die EU und die NATO, ist die Ukraine auf dem richtigen Weg?
Rühe: Es ist sicherlich sehr klug, die Frage der EU-Mitgliedschaft in den Mittelpunkt zu stellen, weil ich glaube, dass sie das Land einigt. Es geht jetzt wirklich darum, alle Kräften einzusetzen, um den EU-Aktionsplan in die Realität umzusetzen und Schritt für Schritt näher an die Europäische Union heranzukommen. Das wird dann, glaube ich, Ost und West in diesem Lande stärker einigen, als vielleicht eine zu frühe oder zu schrille Diskussion über die NATO-Mitgliedschaft. Mit einer schnellen NATO-Mitgliedschaft gewinnt die Ukraine nichts an zusätzlicher Sicherheit. Sie ist ein sicheres Land.
Das deutsch-ukrainische Verhältnis wurde zuletzt durch den Visa-Skandal stark belastet. Als CDU-Politiker haben sie sich dennoch für Reiseerleichterungen vor allem für ukrainische Studenten eingesetzt. Warum?
Rühe: Der Austausch der Eliten ist sehr wichtig für die internationale Handlungsfähigkeit des Landes. Und hier müssen neue Eliten aufgebaut werden und zwar Leistungseliten, bei denen es nach Leistung geht, und nicht danach, wer mit wem verbunden ist oder wer das meiste Geld hat. Der Bundestag hat ein Praktikantenprogramm mit Teilnehmern aus vielen Ländern, auch aus der Ukraine. Ich hoffe, derartige Kontakte können ausgeweitet werden. Mein Eindruck ist, dass viele in Deutschland beeindruckt sind von den jungen Menschen in diesem Lande, die ganz wesentlich die Revolution getragen haben und die, glaube ich, sehr große Fähigkeiten haben, sich schnell international einzugewöhnen.
Befürchten sie nicht wie andere Politiker, dass Ukrainer dann in Strömen nach Deutschland kommen, um sich dort auf irgendwelche Weise etablieren zu können?
Rühe: Nein. Das ist ein falsches Menschenbild. In dem Moment, in dem die Ukraine eine Zukunft hat, in dem sie zu Europa gehört, bleibt jeder lieber auf Dauer in seiner Heimat. Die Vorstellung, dass Menschen sich nichts Schöneres vorstellen können, als ihre Heimat für immer zu verlassen – die ist absurd. So lange man Chancen zu Hause hat, so lange wird man da arbeiten. Diese Chancen gab es in der Vergangenheit in der Ukraine eben nicht. Und deswegen sind viele gegangen. Das hätte ich auch gemacht, notfalls auch illegal, wenn ich anders meine Familie nicht hätte ernähren können. Aber gerade die neue Regierung hier, die gibt Hoffnung, und es ist mehr als eine Hoffnung, dass eben die Zukunft hierher kommt.
Ich war schon in den 60er Jahren während meines Studiums in Amerika. Das gehört heute einfach dazu – Globalisierung. Aber der Normalfall ist, dass man dann auch seine Fähigkeiten im eigenen Lande umsetzt. Und die meisten werden dass sicherlich tun.
Die Ukraine hofft vor allem auf westliche Investoren. Sie haben Gespräche mit Wirtschaftsvertretern geführt, welche Hemmnisse gibt es noch?
Rühe: Alle meine Gesprächspartner sagen, dass sie alles tun, um die WTO-Mitgliedschaft zu ermöglichen und die internationale Anerkennung als Marktwirtschaft zu erreichen. Das Flugzeug von Hamburg mit dem wir unterwegs waren, war voll von deutschen Unternehmern. Da wird eine Menge passieren. Unter anderem geht es um eine Investition, die 3000 Arbeitsplätze in der Westukraine schaffen könnte. Diejenigen, die jetzt die politische Verantwortung haben, wollen und werden für Rechtsicherheit sorgen. Aber es gibt sicherlich Probleme aus der Vergangenheit, die nicht so ohne weiteres verschwinden. Die Köpfe der Menschen kann man nicht über Nacht ändern. Im Prinzip glaube ich, dass es gute Rahmenbedingungen für Investitionen gibt. Nach dem, was man hört, ist die Bürokratie hier sehr ausgeufert. Aber auch in Deutschland gibt es so viel Bürokratie. Hier muss sicherlich noch einiges getan werden, um zu schnelleren Entscheidungen zu kommen.
Das Wissen über die Ukraine war in Deutschland ja nicht sehr groß. Viele sahen in ihr einen Teil Russlands, jetzt immer noch?
Rühe: Das lag natürlich auch an der Ukraine, dass sie nicht sichtbar war. Sie war grau. Und ihre Politiker waren nicht sichtbar. Jetzt aber sind sie sehr sichtbar und bunt. Orange statt grau. Es ist ihre große Leistung, dass die Ukraine nun auch für normale Bürger, die von Politik nicht viel Ahnung haben, plötzlich ein Gesicht bekommen hat.