Tschechien

Kommentar zur Regierungskrise in Prag

Prag (n-ost) Die Regierung in Tschechien zerfällt rasant, doch Premier Stanislav Gross will weitermachen. Drei Minister traten zurück, weil sie den skandalumwitterten Gross nicht mehr als Regierungschef akzeptieren. Zwei weitere Minister sind zurückgetreten, weil sie nicht in einer Minderheitsregierung von den Kommunisten abhängig sein möchten. Und noch sieben andere überlegen, dasselbe zu tun. Damit stellten sich zwei Drittel aller Minister gegen Gross oder seine Regierungspläne.
Was macht Stanislav Gross? Er macht weiter. Wie bisher.

Auf die Fragen nach der Finanzierung seiner Eigentumswohnung wich er aus und verstrickte sich in Widersprüche. Damit begann der Skandal um ihn, vor gut zwei Monaten. Er machte weiter. Die Christdemokraten forderten seinen Rücktritt, seine Umfragewerte sanken in den Keller. Er machte weiter. Das Misstrauensvotum überstand Gross mit Hilfe der reformfeindlichen Kommunisten, auf die er auch angewiesen ist mit seiner geplanten Minderheitsregierung. Diese indirekte Zusammenarbeit widerspricht dem Sinn und Zweck eines Beschlusses seiner Partei, den Sozialdemokraten. Deshalb überlegen sogar Minister aus der eigenen Partei zurückzutreten. Doch Gross macht weiter.

Warum? Woher kommt dieser Durchhalte-Wille, diese Ausdauer? Einem Sportler stände die Ausdauer gut zu Gesicht. Aber das Kabinett ist kein Sportplatz, und Premier zu sein ist keine Einzeldisziplin. Die Regierung ist ein Zusammenschluss mehrerer Menschen, die dem Auftrag der Wählerschaft nachkommen sollen. Die Regierung soll regieren.
Doch die Regierungsgeschäfte liegen brach. Die Politiker widmen sich lieber einem anderen Spiel, bei dem der Preis höher geschätzt wird. Es geht um Macht. Der eine will sie behalten, die anderen wollen sie erringen.

Die Bürgerpartei zum Beispiel, die den Misstrauensantrag gestellt hat. Sie führt in den aktuellen Wahlumfragen und würde bei Neuwahlen die stärkste Fraktion im Parlament. Und natürlich die Kommunisten, deren Unterstützung für Gross entscheidend war. Sie sind seit der Wende 1989 abgeschnitten von der Macht und wurden von allen anderen Parteien geächtet. Neuwahlen brächten ihnen nichts, die Regierung würden andere bilden. Doch auf eine Minderheitsregierung hätten sie großen Einfluss. Im jetzt laufenden Spiel schaut jeder, wie er selbst am meisten Macht bekommt.

Doch Machtgier bringt jeden zu Fall. Denjenigen, der oben sitzt und sich festklammert genauso wie diejenigen, die unten an seinem Stuhl sägen. Denn sie leiden allesamt an Kurzsichtigkeit. Sie sehen immer nur sich selbst am besten. Ein demokratisches Staatswesen aber basiert nicht darauf, dass Einzelne möglichst viel Macht haben. Sondern es geht darum, die Wünsche aller umzusetzen, bzw. daran zu arbeiten. Und diese Regierungs-Arbeit bleibt gerade auf der Strecke.

Ende

Thorsten Herdickerhoff



Weitere Artikel