Trauer um den Papst an der Wiege der Solidarnosc
Danzig (n-ost)- Alt und jung. Alle Bevölkerungsgruppen strömen seit Samstagabend in die mächtige Marienkirche in der Danziger Altstadt, um sich zu trösten und gemeinsam zu beten. „Es ist schwierig etwas zu sagen“, sagt bewegt die 25-jährige Magdalena Piotrowska. Sie weint. Ihr Begleiter Marcin Modrzejewski erklärt: „Es wird jetzt alles anders als zuvor. Wir werden unseren Papst immer vermissen. Für uns alle ist er wie ein Vater“. Der Präsident der Stadt Danzig, Pawel Adamowicz, ruft seine Bürger dazu auf, nach vorne zu blicken und hat dabei selbst Tränen in den Augen: „Der Papst lebt. Er lebt in unseren Herzen. In unseren Gedanken. Im Herzen aller Danziger. So lange wir seiner Lehre folgen.“
Was der Papst mit seiner Lehre, mit der Kraft seiner Worte bewegen kann, wissen sie alle, die Menschen in Danzig. 1979 trat Karol Wojtyla sein Amt an, 1980 begannen in Danzig die Proteste gegen das kommunistische Regime. Der Papst hatte sein Volk zur Solidarität aufgerufen, nichts sei stärker als die Solidarität unter den Menschen. Die unabhängige Gewerkschaft, die sie auf der Danziger Werft gründeten, nannten sie deshalb „Solidarnosc“ – Solidarität. „Ohne den Papst, ohne seine Worte wäre wahrscheinlich der Streik in der Danziger Werft niemals ausgebrochen, und wenn doch, dann wohl erst 50 Jahre später“, erklärt Lech Walesa, erst Streikführer, dann Friedensnobelpreisträger und spätere polnischer Staatspräsident. „Ohne den Papst gäbe es kein Ende des Kommunismus oder zumindest erst sehr viel später, und das Ende wäre blutig gewesen.“
Während ihres Streiks hängten die Werftarbeiter ein Porträt des Papstes an die Pforte. Es wurde von den kommunistischen Machthabern entfernt, aber immer wieder heimlich erneuert. Auch heute hängt es dort, nun mehr in einem freien Polen, in einem freien Osteuropa. Eine schwarze Trauerschleife ist nun darüber gelegt.
„Fürchtet Euch nicht“, mit diesen Worten trat Johannes Paul II. vor über 25 Jahren sein Amt an. Damit habe er das polnische Volk geweckt, ihm Mut gegeben, erinnert Lech Walesa. „Die Lawine, die der Papst ins Rollen brachte, konnte damals keine Kraft abhalten.“ In den frühen 80er Jahren war es Henryk Jankowski, Pfarrer der Danziger Sankt-Brigitten-Kirche, der Gottesdienste direkt auf dem Werftgelände zelebrierte und die Botschaft des Papstes weiter trug. Jankowski war der erste Priester, der sich damals traute, zu den Streikenden zu gehen. Vor der Brigitten-Kirche, der heutigen Hauptkirche der Gewerkschaft „Solidarität“, haben die größten Demos gegen das kommunistischen Regime angefangen. Nach dem Verbot der Gewerkschaft wurde die Kirche zum Hauptquartier der Untergrundopposition. Man hat Flugblätter vorbereitet und Proteste organisiert.
Bereits vor Jahren wurde vor der Brigitten-Kirche ein Papstdenkmal aufgebaut. Die 53-jährige Malgorzata Polikowska ist eine von vielen, die dort Kerzen entzünden. „Wir sind dem Papst dankbar. Er hat viel für Danzig getan. Für Polen“.
Bereits im Sommer 1980 sah es in Danzig so aus, als hätte die Streikbewegung der Werftarbeiter gesiegt. Im August wurde auf dem Gelände der Werft vom dem damaligen polnischen Staatspräsidenten Wojciech Jaruselski und von Lech Walesa ein Papier unterzeichnet, das die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc und die akzeptanz bürgerlicher Freiheitsrechte vorsah. Walesa benutzte für seine Unterschrift einen heute legendären, riesigen Plastikkugelschreiber, dessen Griff ein Bildnis des Papstes zeigte. Der Kugelschreiber ist heute eine wichtige Reliquie im Museum „Wege zur Freiheit“ auf dem Werftgelände. Doch kurz nach Unterzeichnung des Vertrages wurde in Polen das Kriegsrecht ausgerufen und Walesa inhaftiert.
1987, als die Kommunisten immer noch an der Macht und die Gewerkschaft „Solidarnosc“ verboten war, kam Papst Johannes Paul II in den Danziger Stadtteil Zaspa. Damals hörten fast eine Million Menschen seine Predigt und fassten neuen Mut. Auch Lech Walesa war unter den Zuhörern: „Für seine Worte, wäre jeder von uns ins Gefängnis gekommen. Jeder, nur nicht der Papst“. An einen Satz erinnert sich Walesa noch besonders gut: „Solidarität, das bedeutet der eine mit dem anderen, aber niemals der eine gegen den anderen“. Johannes Paul II. habe damals allen Polen klargemacht, dass nur „das Gespräch ein Weg zum Dialog ist. Nicht der Starrsinn.“
Immer mehr Historiker sehen längst in dem Papst den eigentlichen Architekten eines freien Osteuropa. Immer wieder gibt es Berichte, der Vatikan habe die Gewerkschaft „Solidarnosc“ sogar aktiv mit Geldzahlungen unterstützt. „Der Papst war ein Geist, der angekommen ist, um das Angesicht unserer Heimat zu verändern“, sagt der Danziger Stadtpräsident Adamowicz.
Die Danziger stellen sich in diesen Tagen immer wieder die eine Frage: „Wie wird unseres Leben aussehen, wenn der Papst nicht mehr da ist“. Der Danziger Erzbischof Tadeusz Goclowski müht sich, die Bürger in der „Stadt der Freiheit“ wieder aufzurichten. „Wir sollten uns jetzt nicht als Waisenkinder fühlen“, tröstet er. „Der Papst ist mit uns. Er hat uns eine ungeheure Erbschaft hintergelassen. 27 Jahre seines Pontifikats“.
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