Estlands Parteien rangeln um die Macht
Frankfurt/Tallinn (n-ost) – Am heutigen Donnerstag wird der Rücktritt des estnischen Ministerpräsidenten Juhan Parts offiziell. Staatspräsident Arnold Rüütel muss nun binnen zwei Wochen einen neuen Kandidaten finden. Noch ist völlig offen, wer auf den einstigen Hoffnungsträger Juhan Parts folgen könnte.
Als Parts im März 2003 Regierungschef wurde, war er der Hoffnungsträger vor allem der jungen Eliten. Der frühere Rechnungshofpräsident war im Rekordtempo an die Staatsspitze geeilt; seine Partei Res Publica, erst 2001 gegründet, war bei den Parlamentswahlen auf Anhieb nach Prozenten zweitstärkste Kraft geworden – nach Mandaten lag sie sogar gleichauf mit der linken Zentrumspartei.
Parts bekam den Auftrag zur Regierungsbildung. Zentrums-Chef Edgar Savisaar, Anfang der 90er Premier, war nach Abhör- und Bestechungsskandalen suspekt und wurde zu intimer Beziehungen zu Moskau und der örtlichen Unterwelt verdächtigt. Parts koalierte mit der liberal-marktwirtschaflichen Reformpartei und der ländlich-konservativen Volksunion.
Parts, jung, politisch unbelastet, smart, hatte im Wahlkampf auf populäre innenpolitische Themen wie Steuerreform, Kriminalitäts- und Korruptionsbekämpfung und Familienpolitik gesetzt sowie der großen russischen Minderheit eine einfachere Einbürgerung versprochen. Abgesehen von den populistischen Law-and-Order-Themen gilt er als liberal und europa-freundlich.
Doch der Saubermann geriet Ende 2004 plötzlich in Turbulenzen: Im November 2004 musste Verteidigungsminister Margus Hanson seinen Abschied nehmen, nachdem ihm vertrauliche Papiere gestohlen worden waren. Dann wurde Anfang 2005 bekannt, dass im Außenministerium sogar mindestens 91 Geheimdokumente fehlten. Parts forderte daraufhin auch seine Außenministerin Kristiina Ojuland zum Rücktritt auf, was diese jedoch ablehnte. So musste schließlich im Februar 2005 Staatspräsident Arnold Rüütel auf Bitten von Parts die Außenministerin entlassen.
Dies brachte die kleinere Reformpartei, der sowohl Ojuland wie Hanson angehören, gegen den Ministerpräsidenten auf: Parts habe sie nicht rechtzeitig über seine Pläne informiert, monierte Reformchef Andrus Ansip. Schon da wurden Rücktrittsforderungen laut.
Jetzt gab Justizminister Ken-Marti Vaher dem Regierungschef den politischen Todesstoß ausgerechnet auf dem Feld, auf dem der Parts sich hatte profilieren wollen: der Korruptionsbekämpfung. Vaher legte ein umstrittenes Konzept vor: Örtliche Staatsanwaltschaften sollten eine jährliche Mindestzahl von Verfahren gegen Beamte führen. Die liberale Reformpartei kritisierte die Quotenregelung als undemokratisch und zog Parallelen zu stalinistischen Schauprozessen. Nur die Partei Res Publica, der auch Vaher angehört, unterstützte das Konzept, die beiden anderen Koalitionspartner und die Opposition lehnten es ab. In einem Misstrauensvotum wurde Vaher daher am Montag vom Parlament mit 54 von 101 Stimmen abgewählt.
Umgehend kündigte Parts seinen Rücktritt an, der am heutigen Donnerstag in Kraft tritt. „Die Zeit dieser Regierung ist vorbei“, sagte Parts vor dem „Riigikogu“, dem Parlament in Tallinn.
Seit der Unabhängigkeit Estlands 1991 hat es noch keine Regierung geschafft, eine volle vierjährige Legislaturperiode im Amt zu bleiben. Dominierende Volksparteien fehlen, alle politischen Gruppierungen konkurrieren um mehr oder weniger die gleichen Wählerschichten. Daraus ergibt sich eine Vielzahl theoretisch möglicher Koalitionen. Wen Präsident Rüütel, der seit 2001 als seriöse Konstante in Estlands Politzirkus fungiert, nun mit der Regierungsbildung beauftragt, ist denn auch völlig offen. Die Zentrumspartei, die im Parlament ebenso über 28 Sitze verfügt wie Res Publica, hat unter anderem die Sozialdemokraten zu Gesprächen eingeladen. Auch Parts’ Res Publica bleibt im Spiel. Ob aber der einstige Hoffnungsträger eine neue Chance bekommt, ist zweifelhaft.
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