„Tulpenrevolution“ in Kirgisien
Eine Woche nach dem 2. Wahlgang zum kirgisischen Parlament, in dem sich Präsident Askar Akajew eine komfortable Mehrheit sicherte, eskaliert der Konflikt zwischen Opposition und Regierung. Nachdem die Sicherheitskräfte am letzten Sonntag die von der Opposition besetzen Verwaltungsgebäude in den Städten Osch und Dschalal-Abad im Süden Kirgisiens stürmten, kam es zu massenhaften Protesten. Nach Angaben der Opposition kamen mindestens vier Menschen bei den Unruhen ums Leben.
In beiden Städten fanden sich mehrere Tausend Menschen zusammen, um den Polizeikräften mit Steinen und Molotow-Coktails entgegenzutreten. Bis am Montag brachten die Demonstranten die lokalen Verwaltungsgebäude wieder in ihre Gewalt. Zudem besetzten sie die Flughäfen, um zu verhindern, dass aus der Hauptstadt Bischkek im Norden des Landes zusätzliche Sicherheitskräfte eingeflogen werden können. Osch an der Grenze zu Usbekistan gilt als zweitwichtigste Stadt des Landes.
Die Opposition, die bei den Parlamentswahlen Anfang März nur 5 der 75 Sitze errang, wirft Präsident Askar Akajew Wahlmanipulation vor und fordert seinen Rücktritt. Dabei kann sie sich auf das Gutachten der OSZE-Wahlbeobachter berufen, deren Bericht eine ganze Reihe von Ungereimtheiten kritisiert, darunter vor allem der verbreitete Ausschluss von Kandidaten aus undurchsichtigen Gründen.
Während die Regierung die Kontrolle über den Süden des Landes zu verlieren droht, versucht die Opposition eine parallele Staatsgewalt aufzubauen und die Proteste weiter in den Norden zu tragen.
Angesichts der prekären Lage erklärte sich Präsident Akajew am Montag bereit, die Wahlresultate in den umstrittensten Regionen zu überprüfen, nachdem er sich mit den Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission und des Obersten Gerichtshofs getroffen hatte. Gleichzeitig hielt er aber fest, dass die Urnengänge in den meisten Wahlkreisen den gesetzlichen Vorschriften entsprachen.
Ungeachtet der Proteste trat das neue Parlament am Dienstag in Bischkek zu seiner ersten Sitzung zusammen. Präsident Akajew erklärte vor den Abgeordneten, dass der Staat eine Revolution nicht zulassen werde und versicherte, die Situation im Süden bald wieder in den Griff zu bekommen. Die Opposition ihrerseits kündigte für den Nachmittag Demonstrationen in der Hauptstadt an.
Obwohl die Opposition an Kraft gewinnt, spricht sie noch nicht mit einer Stimme. Der ehemalige Premierminister Kurmanbek Bakijew, der am 10. März von der Opposition als deren Kopf bestimmt wurde, signalisierte am Montag seine Bereitschaft zu Gesprächen mit Präsident Akajew. Derweilen erklärte die ehemalige Außenministerin Rosa Otunbajewa, die auch als „Lokomotive der Opposition“ bezeichnet wird, dass es nichts zu verhandeln gebe. Sie forderte den Rücktritt Akajews. „Wir kontrollieren bereits die Hälfte der Republik. Das nächste Ziel ist Bischkek. Die Verwaltung des Präsidenten“, sagte Otunbajewa der russischen Zeitung „Iswestija“..
An den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2005 darf Staatschef Akajew laut Verfassung nicht mehr teilnehmen. Die Opposition fürchtet aber, dass er per Verfassungsänderung eine Verlängerung der Amtszeit durchsetzt oder einen ihm genehmen politischen Erben einsetzt. Seit Januar intensivieren sich die Proteste der Opposition nach dem Vorbild der orangenen Revolution in Kiew. Nachdem Rosa Otunbajewa von den Wahlen ausgeschlossen wurde, gingen ihre Anhänger auf die Straße. Bekleidet mit gelben und rosa Schals beschworen sie den Geist einer „Tulpenrevolution“. Tulpen deshalb, weil diese Blumen im kirgisischen Frühling zur Blüte kommen.
Trotz der scheinbaren Ähnlichkeit zu den Ereignissen in der Ukraine und Georgien, unterscheidet sich die Lage in Kirgisien, in dem rund 4,7 Millionen Menschen leben, in einigen wichtigen Punkten. Konzentrierten sich Demonstrationen in Tiflis und Kiew auf die Hauptstädte, finden die Proteste in Kirgisien vor allem im dünn besiedelten Süden des Landes statt, während die Hauptstadt Bischkek (650 000 Einwohner) noch fest in Präsidentenhand ist. Genau dorthin drängt es nun die Opposition.
Ob es ihr gelingt, die Hauptstadt auf der anderen Seite der bis zu 7000 Meter hohen Berge, die Kirgisien in zwei Teile spalten, einzunehmen und die Kräfte im ganzen Land zu einen, ist fraglich. Zumal weite Teile der kirgisischen Gesellschaft noch durch traditionelle Clan-Strukturen geprägt sind. Auch der Extremfall, ein Auseinanderfallen des Staates in einen südlichen und nördlichen Teil oder das Szenario des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen wäre denkbar. Ein Politiker vom Typ des ukrainischen Oppostitionsführers Juschtschenkos fehlt in Kirgisien. Der aussichtsreichste Kandidat dafür, Felix Kulow, Begründer der Oppositionspartei „Ar-Namys“ (Würde), sitzt seit 2000 im Gefängnis.