Polen

Was wird aus der Posener Synagoge?

Poznan (n-ost). „Die Synagoge muss man nicht aufbauen, denn sie steht”, meint Maciej Frankiewicz, der stellvertretende Bürgermeister von Poznan. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit: Die Synagoge hat zwar den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust überstanden, doch der Bau wurde 1942 unter den deutschen Nationalsozialisten für eine Schwimmhalle missbraucht. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Wo einst aus dem Talmud gelesen wurde, üben sich heute polnische Grundschüler im Brustschwimmen. Aus der früheren „Neuen Synagoge“ an der Stawnastraße ist die Schwimmhalle an der Wronieckastraße geworden. Zwar wurde das Gebäude Anfang 2004 wieder an die wenigen noch in Poznan lebenden Juden zurückgegeben. Doch seine Rekonstruktion kommt nicht voran. „Falls die Gemeinde den Wunsch hat, wieder ein Gebetshaus einzurichten, stellen wir die entsprechende Erlaubnis aus“, beteuert Frankiewicz.

Einst hatte Posen wie viele andere Städte Polens eine große und aktive jüdische Gemeinde. Heute liegt die Zahl der Bürger, die sich zum jüdischen Glauben bekennen, bei 20 Personen, zu wenige, um eine eigenständige Gemeinde zu gründen. Rechtlich betreut deshalb der in Warschau ansässige Verband der Jüdischen Gemeinden in Polen die Juden Poznans und damit auch das Synagogen-Projekt.

Lange Zeit wussten nur wenige Besucher des Schwimmbades, in welchen Räumlichkeiten sich ihr Freizeitvergnügen abspielte. Erst Anfang der 90er Jahre, nach der Wende des politischen Systems in Polen, gab es für eine Weile eine Messingaufschrift an der Fassade, die an die ursprüngliche Bestimmung des Bades erinnerte. Da die Armut groß und Messing ein begehrter Rohstoff ist, dauerte es nicht lange, bis die Tafel gestohlen wurde. Im März 2004 wurde schließlich eine neue Gedenktafel angebracht, finanziert durch den Pächter der Schwimmhalle, die Polnische Sportstiftung.

Seit der Gründung Posens in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis 1939 entstanden in der Stadt etwa 20 Synagogen. Rings um den Marktplatz befand sich traditionell das jüdische Viertel. Im Posen waren um 1816 etwa 20 Prozent der Bevölkerung jüdischen Glaubens. Wie überall in Europa hatten Juden auch in Posen einen entscheidenden Anteil am wirtschaftlichen, kulturellen und intellektuellen Aufschwung der Stadt.

Die Synagoge zu Posen wurde Anfang September 1907 eingeweiht. Sie war höher als der Rathausturm und somit weithin sichtbar. Unter der gewaltigen Kuppel des Gebetsaals fanden 1200 Gläubige Platz. Den Architektur-Wettbewerb gewann damals die renommierte Berliner Firma Cremer und Wolffenstein, die eine Mischung aus römischen und orientalischen Formen wählte. Dieser Stil war typisch für die damalige Zeit. Die Synagogen waren Ausdruck gewachsenen jüdischen Selbstbewusstseins, wobei die Erbauer sich weniger als religiöse Außenseiter sondern mehr als integrierter Teil der deutschen Gesellschaft sahen.

„Die Posener Synagoge in der Stawnastraße war ein Beweis für den hohen Assimilationsgrad der jüdischen Gemeinde“, erklärt Ewa Stęszewska-Leszczyńska, Kunsthistorikerin und Autorin einer Monographie über den Posener Tempel. „Die Synagoge ist ein wichtiges Spiegelbild des hohen kulturellen und geistigen Standes hiesiger Juden“, meint auch Michael Schudrich, Polens Oberrabbiner. Für ihn ist die Synagoge die schönste Polens: „Heute ist das Gebäude eine Erinnerung an die damalige Pracht der Stadt, aber auch an die menschliche Barbarei.“

Nur wenige Einwohner Poznans wissen heute etwas über die frühere Bevölkerungsstruktur der Stadt. „Die Synagoge ist als Teil des Altstadt-Komplexes in das Denkmalregister eingeschrieben“, erklärt Maria Strzałko, die Stadtkonservatorin. Sie ist überzeugt, dass die wieder hergestellte Synagoge ein wertvolles Element der städtischen Landschaft wäre. Aber auch sie will sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Die Stadtkassen seien leer, andere Probleme stünden im Vordergrund.

Vor zwei Jahren sah es dennoch so aus, als könnte aus der Wiederherstellung der Synagoge etwas werden. Andrew Hingston reiste aus den USA an, um die die Stiftung „Poznan Synagogue Project“ voranzutreiben. Er gewann prominente Unterstützer wie den Oberrabbiner Schudrich und Laurence Weinbaum, Chef des Weltkongresses der Juden. In Poznan führte Hingston Gespräche mit den Entscheidungsträgern der Stadt über die Zukunft der Synagoge. Einige konnte er mit seinem Enthusiasmus anstecken und die lokale Presse berichtete positiv. Doch im Laufe von zwei Jahren versandete das Projekt. Hingston zerstritt sich sowohl mit den Poznaner Juden als auch mit dem Verband jüdischer Gemeinden in Warschau. Auch Schudrich und Weinbaum haben sich längst von ihm distanziert.

„Die Rekonstruktion und Wiederbelebung der Synagoge ist mein Lebenstraum“, sagt Alicja Kobus, die die Posener Juden nach außen vertritt. Sie versucht nun einen neuen Anlauf ohne Hingston und hat den Aufruf „Helfe beim Aufbau der Synagoge!“ gestartet, um die Wiederherstellung doch noch voranzutreiben. Geplant ist die Einrichtung eines neuen Gebetssaales. Zudem soll ein Zentrum für Judaismus und Toleranz entstehen, in dem die Geschichte der polnischen Juden dokumentiert und mit modernster Technik vor allem für Schulklassen erlebbar gemacht wird. Abgerundet werden soll das Projekt durch einen Koferenz- und Konzertsaal. Eine Stiftung müsste die Finanzierung und die künftige Verwaltung sichern. Da derzeit in Warschau ein ähnliches Projekt (Museum der Polnischen Juden) verfolgt wird, stehen die Chancen aber schlecht. So ist die Zukunft der einst prächtigen Synagoge weiterhin ungewiss.


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