Polen

Letzte Chance Polen

Stettin (n-ost) - 2,78 Promille Alkohol hatte Helmut intus, als er in einer Novembernacht seine Berliner Wohnung ansteuerte. Kurze Zeit später stand die Polizei vor seiner Tür. Die Folgen: Führerschein beschlagnahmt, zudem eine saftige Geldstrafe. Doch ein Rentnerdasein ohne Auto kam für den 61-jährigen Monteur nicht infrage. Er fand einen Ausweg. In Polen.
Vier Monate später sitzt der Berliner, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, wieder im Auto – als Fahrschüler im polnischen Stettin (Szczecin). Es war die Flucht vor der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), volksnah auch „Idiotentest“ genannt, die Helmut in die grenznahe östliche Großstadt verschlug. Autofahrer, die nach übermäßigem Drogen- und Alkoholgenuss am Steuer erwischt werden oder fleissige Punktesammler in Flensburg sind, wird der Führerschein auf Zeit entzogen. Zusätzlich müssen sie zur MPU. So will es der deutsche Gesetzgeber.

Rund 110.000 Kraftfahrer erwischte es nach Angaben des Bundesamts für Straßenwesen im Jahr 2003. Zwischen 30 und 50 Prozent der Prüflinge fallen nach Angaben der Behörde bei den Tests durch. Auch Helmut hätte, so meint zumindest seine Rechtsanwältin, wegen der hohen Promillezahl keine Chance gehabt.

So nimmt es wenig Wunder, dass frustrierte Autolenker ihr Fahrglück im Ausland suchen. Das Internet ist voll von Angeboten. Wie das der ‚EU-Fahrschule‘ von Dieter Schirwandt in Stettin. Zwar will der 57-jährige Schwabe nicht sagen, wie viele Deutsche über den Umweg Polen in seiner Fahrschule die deutsche MPU umgehen wollen, doch in seinem Berliner Büro, das als Anlaufstelle für die deutsche Kundschaft dient, ist man redseliger. Pro Woche zwischen 60 bis 70 Anfragen. 20 bis 30 davon fahren dann tatsächlich nach Stettin, um dort den EU-Führerschein zu machen, heißt es.

Die westlichen Nachbarn sind Schirwandts bestes Geschäft: 95 Prozent seiner Kunden sind Deutsche, zumeist Männer, auffallend viele Geschäftsleute. „Die Menschen weinen vor Glück, wenn sie den Führerschein haben und wieder Auto fahren dürfen“, sagt Unternehmer Schirwandt. 1790 Euro kostet bei ihm der PKW-Führerschein, 20 Stunden Theorie, rund 30 Stunden Praxis, alles in drei Wochen und deutscher Sprache. Die MPU muss hier niemand machen. Der ehemalige Boss-Verkaufsleiter hält sie für „Blödsinn“, wahrscheinlich auch, weil er sie einst nach einer Geschäftsfeier selbst bestehen musste. Die MPU mit Beratung und Vorbereitungskursen ist für Schirwandt „reinste Abzocke, die sich der Bürger finanziell nicht mehr leisten kann“. Billig ist die MPU in der Tat nicht. Für Beratung, Vorbereitungskurse und medizinische Untersuchungen ist nach ADAC-Angaben mit etwa 1000 Euro rechnen.

Doch wer in Polen den Führerschein machen und um die MPU einen Bogen machen will, für den könnte es bei der nächsten Verkehrskontrolle in Deutschland ein böses Erwachen geben. „Das ist eine Fahrerlaubnis auf Zeit und rausgeschmissenes Geld“, urteilt Ludo Wisy vom ADAC. Sobald die Führerscheinbehörde feststellt, dass der Fahrer keine MPU nachweisen kann, muss er sie in Deutschland nachholen. Der Verkehrsrechtsexperte kann deshalb nur warnen: „Ob jemand geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, bestimmt sich nach nationalem Recht. Auf Dauer kann man der MPU nicht entgehen”. Inhaber von Fahrschulen dagegen wie Schirwandt berufen sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom vergangenen April: Demnach muss Deutschland die ausländischen Führerschein anerkennen, selbst dann, wenn das Nachbarland den Führerschein gar nicht hätte ausstellen dürfen, weil der Prüfling dort nicht wohnte.

Fußballvereinspräsident Helmut scheint die unklare rechtliche Lage nicht zu beeindrucken. Er will seinen Führerschein trotzdem machen. Dabei läßt er sich auch nicht vom polnischen Verkehr schrecken: „In Polen wird genau so verrückt gefahren wie in Deutschland“.



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