Stettins Umland endet an der Grenze
Das Leben entwickelt sich oft schneller als Gesetze. Das sagt einer, der es wissen muss: Tomasz Banach ist Direktor des Stettiner Amtes für Stadtentwicklung und hat mit seinem Team das Konzept für die Metropolregion Stettin erarbeitet. Zu der Region gehören nicht nur die Stadt an der Oder, sondern auch die umliegenden Gemeinden, darunter einige deutsche. „In den Läden unserer Umgebung weiß ich manchmal nicht, ob ich in Deutschland oder Polen bin: Preise und Sonderangebote findet man dort oft zweisprachig, auf deutsch und polnisch.“
Doch der intensive Kontakt Stettins zu den benachbarten deutschen Kommunen spielt für die Entwicklung der Metropolregion keine Rolle. „Der Gesetzgeber beachtet den grenzübergreifenden Aspekt in den derzeitigen Gesetzentwürfen zur Definition einer Metropole nicht“, erklärt Banach. „Also dürfen deutsche Gemeinden formal nicht in die Metropolregion einbezogen werden, und wir können momentan leider nur bis zur Grenze planen.“
Die Grenzen einer Metropolenregion
Zurzeit wird im Sejm, dem polnischen Parlament in Warschau, an dem Gesetzentwurf gearbeitet, der den Status einer Metropolregion definiert. Die vorläufigen Kriterien sind: mehr als 300.000 Einwohner im Zentrum der Metropolregion, großes wirtschaftliches Potenzial vor allem im Dienstleistungssektor, großes Innovationspotenzial in Wissenschaft und Forschung, eine ausgebaute Infrastruktur, vielfältige kulturelle Aktivitäten von internationaler Bedeutung und eine hohe touristische Attraktivität.
Das alles trifft auf Stettin zu – und eben noch mehr unter Einbeziehung der deutschen Nachbarkommunen, die bereits jetzt Realität ist. „Das Gesetz plant nicht die Schaffung von obligatorischen grenzübergreifenden Metropolregionen“, erklärt Stanislaw Krakowski, Pressesprecher des Ministeriums für regionale Entwicklung in Warschau. Zugleich signalisiert er Verständnis für die Region Stettin: „Wir sehen auch, dass gemeinsame Planungen notwendig sind, und das wird vielleicht im Fall von Stettin geschehen. Nur durch eine gemeinsame Herangehensweise an die räumliche Planung und Bewirtschaftung kann die durch eine Grenze geteilte Region vollständig funktionieren.“ In Zukunft sollen gemeinsame Projekte realisiert werden, vor allem der Ausbau der Infrastruktur und die Verwaltung der grenzübergreifenden Wasservorräte, wie z.B. der Oder.
Die Investitionen, die Stettin derzeit für die Entwicklung der Metropolregion plant, werden trotzdem Einfluss auf die angrenzenden deutschen Gemeinden haben. „Die Gelder, beispielsweise für den Neubau der Stettiner Philharmonie, investieren wir auch für die Einwohner der angrenzenden deutschen Region“, erklärt Stadtentwickler Banach. Schon heute seien viele Gäste der Philharmonie Deutsche, „obwohl der Konzertsaal hohen Ansprüchen noch nicht genügt“, so Banach.
Konzept: „Szczecin 2050 – Floating Garden“
Die neue Philharmonie ist eines der großen Prestige-Projekte, durch die sich Stettin zur Metropolregion entwickeln und im Vergleich mit anderen europäischen Großstädten aufholen will. Zu den Plänen gehören außerdem eine neue S-Bahn, Umgehungsstraßen im Norden und Westen, ein moderner Yachthafen mit Segelsportzentrum sowie eine Sport- und Ausstellungshalle. Bereits im Bau ist ein Schwimmbad für internationale Wettkämpfe, das olympischen Standards genügt. Außerdem wird im Oktober 2010 eine Kunsthochschule eröffnet. Dazu kommt eine staatliche Ballettschule. Vier Milliarden Zloty (etwa eine Milliarde Euro) werden bis 2013 investiert. Für die Philharmonie, die S-Bahn und die Umgehungsstraßen sollen auch Fördermittel der EU fließen.
„Szczecin 2050 – Floating Garden“, heißt das Konzept für die Metropolregion, das Tomasz Banach als Direktor des Amtes für Stadtentwicklung und sein Team entwickelt haben. Kreativität, ökologisch nachhaltiges Leben und ein modernes Dienstleistungsangebot sollen die Stadt und die Region einmal kennzeichnen. Pate für das Motto standen die Oder-Inseln im Stadtzentrum. Früher dienten sie der Hafenwirtschaft, nun sollen sie zu einem neuen Stadtteil ausgebaut werden – dem neuen Herzen der Stadt. Die Inseln Zielona und Kepa Parnicka wurden dazu an die internationale Projektentwicklungsfirma Howard Holdings verkauft. Die nutzt die Erfahrung einer niederländischen Firma, die unter anderem schon die wasserseitigen Stadtteile in Amsterdam und Toronto erneuert hat.
Auf der Insel Kepa Parnicka werden Gewerbeflächen und rund 5500 Wohnungen als Waterfront direkt am Wasser entstehen. Dabei ist jedoch Geduld gefragt „Die vollständige Entwicklung der neuen Stadtteile kann schon noch 20 bis 30 Jahre dauern, da eine komplett neue Infrastruktur aufgebaut werden muss“, erklärt Banach. „Wir wollen die Oder-Inseln modern, langfristig und nachhaltig entwickeln und Fehler durch überstürztes Handeln vermeiden.“
Hoffnungen für den Tourismus
So viel Geduld zeigen die Stettiner zuweilen nicht. Für Edmund Kikmunter, den Besitzer eines kleinen Souvenir-Ladens, kann es gar nicht schnell genug gehen. Der Bau der neuen Sport- und Ausstellungshalle ziehe sich nun schon über Jahre hin, und auch der Ausbau der Oder-Inseln sollte endlich vorwärts gehen, findet er. „Wenigstens von der Philharmonie wissen wir sicher, dass sie in einigen Monaten hier stehen wird“, sagt er. „Und dann kommen auch mehr Touristen.“
Das habe Stettin dringend nötig, so Kikmunter. „Touristen, die hierher kommen, nur um die Stadt zu besuchen, gibt es eigentlich nicht, obwohl Stettin eine sehr schöne Stadt ist“, sagt der Pole. In seinen Laden, in dem er von Riesenmuscheln über Bierkrüge bis zu Puppen in Landestracht alles verkauft, was mit Stettin und Polen zu tun hat, kommen vor allem Deutsche. Einige von ihnen wollen sich die Stadt ansehen, aus der ihre Familie stammt. Die meisten aber machen Badeurlaub an der Ostsee und schieben einen Tagesausflug nach Stettin ein. Das könnte sich mit der Metropolregion ändern, hofft der Ladenbesitzer.