Polen

Gevatter Tod

Sieniawa (n-ost) Seit „Körperwelten“-Macher Gunther von Hagens im polnischen Dorf Sieniawa, etwa 50 Kilometer östlich von Cottbus, ein altes Fabrikgelände erworben hat und dort Teile seiner Leichenpräparation ansiedeln will, schlagen im katholischen Polen die Emotionen hoch. In Online-Foren wurde die Arbeit des Heidelberger Anatoms mit NS-Methoden verglichen. Seine Präparate erinnerten an Seifen und andere Produkte, die die Nazis in Konzentrationslagern aus menschlichen Leichen herstellten.

Was nun bekannt wurde, bestätigt in Polen alle Befürchtungen und droht zu einer erneuten schweren Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis zu werden: Von Hagens 88jähriger Vater, der für ihn in Polen die Geschäfte führt und derzeit die Fabrik aufbaut, war während des Zweiten Weltkrieges als SS-Mann im damaligen Warthegau an der Verfolgung von Polen maßgeblich beteiligt. Dies enthüllten gemeinsame Recherchen der renommierten Warschauer Tageszeitung „Rzeczospolita“ und des „Spiegel“.

Gerhard Liebchen, der Vater von Hagens, wurde 1916 im damals polnischen Ort Alt-Skalden (Skalmierzyce) in der Nähe von Kalisz geboren. Bereits als Jugendlicher begann er nach Angaben von „Rzeczpospolita“ mit geheimer, politischer Tätigkeit für die Nazis. 1934, also im Alter von 18 Jahren, wurde er Leiter einer lokalen paramilitärischen Vereinigung. Im April 1939 erfolgte seine Festnahme durch die polnische Polizei. Nach Angaben des „Spiegel“ liegen SS-Akten vor, nach denen sich Liebchen nach dem deutschen Überfall auf Polen den NSDAP und dem paramilitärischen „Selbstschutz Posen“ anschloss, der für Racheaktionen an Polen berüchtigt war. Die SS habe Liebchen später unter der Mitgliedsnummer SS 374 728 registriert, später sei er zum SS-Unterscharführer aufgestiegen. „Rzeczospolita“ zitiert einen Zeitzeugen, der Liebchen für das Anfertigen von Deportationslisten für deutsche Konzentrationslager verantwortlich macht. Für seine Heirat habe Liebchen eine besondere Form der SS-Eheweihe gewählt. Dem Paar wurde am 10. Januar 1945 ein Sohn geboren, den es auf den Namen Gunter Gerhard Liebchen taufte, der dann als Anatom in West-Deutschland Karriere machte und sich später in Gunther von Hagens umbenannte. In Polen wird Vater Liebchen in Anlehnung an den Spitznamen seines Sohnes „Doktor Tod“ nun „Vater Tod“ genannt.

Noch vor einer Woche, als in Polen erste Kritik an seinem Vorhaben laut wurde, ging von Hagens in die Offensive. In einer Erklärung, die sein Vater in fließendem Polnisch dem Gemeinderat vortrug, skizzierte von Hagens seines Pläne. Demnach plane er in Sienawia 300 Arbeitsplätze in der „Endfertigung“ von plastinierten Menschen- und Tierpräparaten zu schaffen und bis zu 15 Millionen Euro zu investieren. Zu den Vorwürfen, Nazi-Methoden anzuwenden, erklärte von Hagen damals: „Als nachgeborener Deutscher schäme ich mich für die Unmenschlichkeit, für den millionenfachen Mord der im deutschen Namen begangen wurde. Ich verneige mich vor den Opfern und versuche darüber hinaus das Erstarken neonazistischen Gedankenguts zu verhindern.“

Außerdem berief sich der Anatom darauf, dass alle seine Präparate von Freiwilligen stammten. Mittlerweile hätten 16 Millionen Besucher weltweit die „Körperwelten“-Ausstellung gesehen. Polen habe er als Standort gewählt, weil die Bevölkerung überwiegend katholisch sei. Seine anatomische Arbeit sieht er in der Tradition der „Papstkirche in Rom“. „Es waren die Päpste Italiens, die in der Renaissance in Padua und Bologna die Schirmherren des Beginns der Anatomie der Neuzeit waren.“
Als vertrauensbildende Maßnahme lud von Hagens drei Mitglieder des Gemeinderates zum Besuch der „Körperwelten“-Ausstellung ein, die derzeit in Los Angeles und Chikago gezeigt wird.

Monatelang lebte Gerhard Liebchen auf dem Gelände in Sienawia, um die Einrichtung der Fabrik seines Sohnes voranzutreiben. Vergangene Woche noch erklärte er in akzentfreiem Polnisch, dass seine Großmutter, als sie seinen deutschen Vater kennen gelernt habe, nur Polnisch gesprochen habe und dass es im Mittelalter doch ganz selbstverständlich gewesen sei, wenn Polen, Russen, Deutsche und Juden zusammenlebten. „Jetzt endlich haben wir das gemeinsame Vaterland Europa und darauf sollen wir uns konzentrieren.“ Liebchen sagte in Anspielung an sein hohes Alter über sich, dass er einen „Vertrag mit Gott“ habe und 120 Jahre alt werden wolle. Liebchen hat sich in Sieniawa bereits eine Villa als Altersruhesitz gekauft. In einigen Wochen sollten die Vorbesitzer das Haus für ihn räumen.

Kurz nach Bekanntwerden seiner SS-Vergangenheit am Wochenende aber ist Gerhard Liebchen vom Sitz der Firma „Von Hagens Plastination Company Sieniawa G.m.b.H.“ verschwunden und vermutlich in sein Haus nach Heidelberg gefahren.

Aus der Gemeinde Żary, zu der Sianiawa gehört und in der man sich angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit Hoffnungen auf 300 Stellen gemacht hatte, hieß es in ersten Reaktionen, dass man mit Gerhard Liebchen nun nicht mehr sprechen wolle.
Gemeindevorsteher Jan Dzyga rechnet kaum mehr mit einer Realisierung des Vorhabens. Vermutlich werde sich von Hagens nun selbst von dem Projekt zurückziehen.

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