Ukraine

Einmal Kiew-Frankfurt: 2500 km für 60,- Euro und 36 Stunden

Mit Wehmut erinnert sich Natalia Wolk, die Direktorin des Kiewer Busunternehmens Euroclub, an Zeiten, in denen täglich sechs ihrer Busse aus Kiew nach Europa und vor allem nach Deutschland abfuhren. Nun verlassen pro Woche nur noch vier Busse ihrer Organisation die ukrainische Hauptstadt in Richtung Westen. Von dem Reisebüro in der Zalatoutskaja blickt man direkt auf die Visastelle der Deutschen Botschaft, vor der Natalias Mitarbeiter für das Busunternehmen werben. Ginge es so weiter wie im Jahre 2004, stöhnt Natalia, lohne sich das Geschäft bald nicht mehr. Die Konkurrenz sei groß, die Emigration vorbei und Passagiere Mangelware. Schuld daran habe die restriktive Immigrationspolitik der europäischen Länder, allen voran Deutschland. Sogar an Gruppen zum Schüleraustausch oder Sportmannschaften, beides wichtige Klientel, würden keine Visa mehr vergeben.

Jeden Samstag schickt Natalia um 9:30 Uhr einen Bus nach Konstanz auf den Weg. Ismael-Barcelona oder Kiew-London steht auf den Schildern der Kiewer Busstation Dachnaja. Einmal Simferopol-Konstanz kostet ungerechnet 60,- Euro und eineinhalb Tage Zeit.

Über Shitomir und Rovno geht es in gerader Linie nach Westen. Einstöckige Dorfhäuschen reihen sich entlang der Landstraße, auf den Strommasten leere Storchennester, in den Bäumen viele Misteln. Bei kurzen Stopps an den Busbahnhöfen gilt: schnell pinkeln, eilig rauchen. Gleichzeitig bieten umherstehende Roma den Passagieren an, ihnen rosige Zukünfte im Westen aus den Händen zu lesen.

Die drei Fahrer halten zur Disziplin an, denn sie fahren gegen die Zeit. Die muss gewonnen werden, um sie an den Grenzen verlieren zu können. Jede Busfahrt hat einen Zeitplan und die entsprechende Fahrterlaubnis von ukrainischen, polnischen und deutschen Verkehrsbehörden. Bei Verzögerungen an den Grenzen entsprechen Fahr- und Erholungszeiten der Fahrer nicht mehr dem Zeitplan und eine Strafe wird fällig.

Mahmud hat sich für die 36 Stunden mit Proviant bei McDonalds eingedeckt. Der in Rumänien geborene Halblibanese studiert in Charkow Zahnmedizin. Mit seiner aus Siebenbürgen stammenden Mutter spricht er französisch. Als einziger im Bus ist er stolzer Besitzer eines nagelneuen deutschen Passes. Typischere Passagiere sind Ukrainer, die Verwandte besuchen, Studenten und Au-pairs oder Fahrer, die im Westen Autos erwerben und in die Ukraine überführen.

17:00 Uhr. Hinter Lwiw (Lemberg) macht die Sonne Scherenschnitte aus den Bäumen. Es wird unruhig im Bus. Gerüchte von stundenlangen Wartezeiten und peniblen Gepäckkontrollen kursieren. Manch einer versucht, seine Habe mit den Zollbestimmungen in Einklang zu bringen: „Sonne, nimm doch eine Stange Zigaretten. Ich hab zu viele und man darf doch nur zwei einführen, Solnitschka, dawai“. Solch unbedachte Passagiere nennt Direktorin Natalia den „menschlichen Faktor im Geschäft“. Dazu zählt sie auch die „Enthusiasten“, die vor der ukrainisch-polnischen Grenze konspirativ je 5,- Euro von zahlungswilligen Passagieren einsammeln. Schmiergeld sei aber an der ehemals sehr korrumpierten Grenze nicht mehr nötig, sagt Natalia.

Um 18:30 Uhr reiht sich der Bus in die Schlange am Grenzübergang Segyni ein. Nach vier Stunden geht es endlich hinein in die EU und weiter durch das nächtliche Polen. Tromboserisiko und Körperkontakt steigen. Rückfahrten seien komfortabler, weil leerer, schrieb der ukrainische Essayist Jurji Andruchowitsch noch vor drei Jahren in seinem Band „Das letzte Territorium“. Heute, so Fahrer Sergej, habe sich das Bild gedreht.

Kurz vor dem polnisch-deutschen Grenzübergang Ludwigsdorf geht es um 9:30 Uhr eilig durch die Waschanlage und zum Auftanken. Drei Stunden können die Passagiere nun drei Fahnen, die polnische, deutsche und europäische, betrachten, die im trüb-grauen Himmel wehen. Am späten Nachmittag spähen sie strapaziert aber hoffnungsvoll am Frankfurter Hauptbahnhof nach Verwandten oder Gastfamilien aus.
Hoffnung behält auch die energische Natalia Wolk, die ihr Unternehmen mit 10 Bussen und 36 Fahrern bereits sieben Jahre leitet. „Der Tourismus ist jetzt tot, “ meint Natalia „doch wir zählen auf unsere neue Regierung! Falls die Europäische Union sich der Ukraine etwas öffnet, wird der Passagiertransport wieder ein Riesengeschäft!“


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