Rumänien

Weihnachten im Hospiz

Vasile Stroie lächelt gelassen. Er sitzt im Rollstuhl vor dem Fernsehen. Neben ihm ein alter Mann, mit weit geöffnetem Mund, den Kopf auf der Lehne des Rollstuhls, die Augen geschlossen. Andere Kollegen liegen in ihren Metallbetten und blicken zur Decke. Auf der Wand ist ein Adventskranz befestigt, darüber eine Ikone. Von Weihnachtsstimmung keine Spur.

Seit vier Jahren wohnt Stroie nun bereits im Pflege- und Hilfezentrum in Cluj-Napoca (Klausenburg) bekannt. Es ist die einzige staatliche Institution in einer Siebenbürgischen Großstadt, die Alte und Menschen, die an unheilbaren Krankheiten leiden, aufnimmt. Für Vasile Stroie und für hunderte weitere Bewohner des Kreises ist dieses Zentrum die letzte Hoffnung nach jahrelangen Qualen. Seine Mutter und seine Ehefrau hatten damals entschieden, ihn hierher zu bringen, da sie mit seiner Krankheit alleine nicht mehr fertig werden konnten. Multiple Sklerose greift den gesamten Organismus an und zerstört diesen bis hin zum Tod.

„Die Krankheit hat sich schrittweise entwickelt. Vasile konnte gar nicht mehr gehen, ist mehrmals aus dem Rollstuhl gefallen, ist mit seinem Kopf aufgeschlagen. Er brauchte rund um die Uhr eine Krankenschwester und das konnten wir uns finanziell nicht leisten", sagt die Mutter mit zitternder Stimme. Eine unendlich schwere Entscheidung, auch für die Ehefrau, die ihn seit der Entdeckung der Krankheit gepflegt hatte.

Schon 13 Jahre ist es her, dass der ehemalige Ökonom Bewegungs-Schwierigkeiten bekam. Erst schmerzte das rechte Bein, dann auch das linke, dann der gesamte Unterkörper. „Einige Jahre bin ich trotz meines Leids noch zur Arbeit gegangen und habe auf Besserung gehofft", sagt der Mann. Stattdessen sei es immer schlimmer geworden.

Heute kann Vasile Stroie nur noch die rechte Hand zum Händeschütteln ausstrecken. Es ist eine unwahrscheinlich lange Hand, wie ein mit Haut überzogenes Brett mit stark hervorquellenden Adern. Die Beine ahnt man unter dem Leintuch, das zerknittert aus dem Rollstuhl ragt. Stroie lächelt trotzdem.

Es ist bereits das zweite Mal, dass Vasile Weihnachten nicht im Familienkreise feiern kann. Ein untröstlicher Gedanke mit dem sich der 56jährige abfinden muss. „Das ist gewöhnungsbedürftig, wie mein gesamtes Leben auch, aber daran kann man nichts ändern." Der Schimmer Hoffnung in seinen dunkelbrauenen Augen erlischt plötzlich, denn die Angst, seine Familie zu belasten, ist für ihn unerträglich. Auf keinen Fall möchte er seine Tochter vor ihrem zukünftigen Verlobten blamieren.

Für viele der 110 Menschen im Klausenburger Hospiz hat Weihnachten keine Bedeutung mehr. Manche haben keine Familienangehörigen, die sie über die Feiertage nach Hause nehmen, oder mit denen sie sich zumindest an das Heilige Fest erinnern können. Andere wurden von der Familie verstossen. Für andere wiederum ist die schwere Krankheit eine so grosse Last, dass sie nicht mehr ans Feiern, an Christus, oder an die Familie denken.

„Wir hatten damals grosse Bedenken ihn ins Pfege- und Hilfezentrum zu bringen, denn das wird ja oft als Schande betrachtet. Man wirft dir dann vor, dass du ein krankes Familienmitglied einfach loswerden willst", erzählt Vasiles Ehefrau. Mittlerweile sei ihr das „Geplapper" der Leute aber egal. Sie zeigt sich stattdessen erleichtert, dass sie diesen Platz finden konnten, denn für knappe 45 Euro im Monat bekommt Vasile durchgehend profesionelle Verpflegung durch über 80 Angestellte, drei Mahlzeiten am Tag, sowie Medikamente und ärztliche Behandlung.

Die monatlichen Kosten liegen eigentlich weit über 200 Euro (10 Millionen Lei), mehr als das Doppelte eines rumänischen Mindestlohns. Das Pflege- und Mithilfezentrum Cluj-Napoca wird deshalb vom Staat subventioniert. Die Nachfrage ist gross, denn in privaten Heimen muss die kompletten Kosten selbst tragen.

Auf jedes Bett im Hospiz kommen rechnerisch 2900 Personen, erklärt Liviu Popa, Leiter des Zenturms. Einen Platz bekommt man oft nur nach Jahren, nachdem eine staatliche Komission den Fall genehmigt und ein Bett frei geworden ist.

Jahrelang hat die Familie Vasile Stroie zu Hause betreut. In der grossen Pause lief eine der beiden Töchter aus der Schule heim, um ihm das Mittagessen zu servieren. Die Frau pflegte ihn nach der Arbeit. Seine Mutter, bereits 86, bemühte sich um ihn so gut sie nur konnte. „Er war sehr unzufrieden. Sobald er die Türklinke hörte, fing er an zu schreien, sich zu beschweren, dass er alleine ist, dass wir ihn nicht richtig behandeln. Es war ein Alptraum", erzählt Silvia Stroie.

Doch jetzt lächelt Vasile gelassen. Nun ist er zufrieden. Hier im Pflege- und Mithilfezentrum. Denn hier fühlt er sich nützlich. Wegen seines großen Optimismuses werden ab und an Kranke zu ihm aufs Zimmer verlegt, „damit er sie mit seiner guten Laune ansteckt", erklärt eine Krankenschwester.

Den Duft des Weihnachtsbaums auf dem Hof des Pflegeheims wird Stroie nur von seinem Fenster aus erahnen können. Vielleicht wird er mit den Zimmerkollegen ein wenig reden, fern sehen und warten, dass Mutter und Ehefrau, wie jeden Tag, zu Besuch kommen. Diesmal jedoch mit einem Geschenk...


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