Ukraine

Wilde Tänze, aber friedlich

„Diki tanzi w Verhowna Rade“ singt Ruslana und das Publikum wogt. Der Hit „Wilde Tänze“ hatte Ruslana den Sieg beim diesjährigen Grandprix d’ Eurovision beschert. Nun ist der Text leicht verändert: Ruslana singt von „Wilden Tänzen im Parlament“, passend zur derzeitigen Situation in der Ukraine.

Während des Wahlkampfes noch hatte sich die populärste ukrainische Sängerin geweigert, für einen der beiden Präsidentschaftskandidaten das Mikrofon zu ergreifen. Doch nun fegt sie für den Oppositionskandidaten Wiktor Juschtschenko über die zentrale Bühne auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew. Gleichzeitig ist die zierliche Frau in einen Hungerstreik getreten. Mit ihm will sie eine korrekte Auszählung des Wahlergebnisses vom vergangenen Sonntag erreichen. Neben Ruslana hat sich auch der ukrainische Boxstar Wladimir Klitschko an der Seite des Oppositionskandidaten gezeigt.

Am dritten Tag der Demonstrationen nach der Stichwahl um das ukrainische Präsidentenamt fehlt nicht viel, um die Proteste wie eine große Party aussehen zu lassen. Dabei sind die Demonstranten ihrem Ziel nicht viel näher gekommen. Sie hatten auf dem verschneiten Prachtboulevard Kreschatyk ihre Zelte aufgestellt, um gegen die offizielle Auswertung der Stimmen zu protestieren, nachdem der Favoriten der Regierung, Viktor Janukowitsch, von der Zentralen Wahlkommission zum Sieger erklärt worden war.

Mut macht den Demonstranten die Rückenstärkung aus dem westlichen Ausland. Deshalb harren trotz Minusgraden weiterhin Hunderttausende im Herzen Kiews in orangefarbenen Plastikcapes aus, unterstützt von vielen gewöhnlichen Kiewern, die Plastiktüten mit Lebensmitteln und warmer Kleidung in die Zeltstadt schleppen.
Immer wieder brandet auf der Straße Jubel auf, wenn wieder eine ukrainische Stadt ihre Sympathie für den Oppositionskandidaten ausgesprochen hat. Busse bringen Sympathisanten aus anderen Orten in die Hauptstadt. „Der beste Beweis für den Volkswillen ist,“ sagt aufgeregt ein Händler aus Odessa „dass alle freiwillig hier sind und frieren! Niemand wurde dafür bezahlt!“

Aufmerksam wird die Unterstützung aus dem westlichen Ausland für den Protest registriert. Derzeit weilt auch die CDU Bundestagsabgeordnete Claudia Nolte in der Stadt, die aus Reihen der CDU als Ukraine-Expertin gilt. Auf einer Pressekonferenz in der deutschen Botschaft überbrachte Frau Nolte die Bedenken von deutschen Politikern. Falls die ukrainische Führung den Weg einer Diktatur wie Weißrussland wählen, habe das die Einstellung der Visa-Erteilung zur Folge haben.

Doch was soll geschehen? Ob eine erneute Zählung der Stimmen technisch überhaupt möglich ist, bleibt unklar. Die Opposition hat daher Neuwahlen gefordert und zum Generalstreik aufgerufen. Statt zur Arbeit, sollen die Menschen auf die Straße gehen. In vielen Städten tun sie dies bereits.

Doch es wird dabei deutlich, dass ein Riss quer durch das Land geht. Die Oppositionspartei „Unsere Ukraine“ stammt aus dem ärmeren aber umso stärker patriotischen Westen der Ukraine. Diesen Patriotismus, will sich der industrialisierte Osten, der sich traditionell an Russland orientiert, nicht aufzwingen lassen. Erneut wird diskutiert, ob die Ukraine nicht eine Föderation sein sollte.

Obwohl Pessimisten bereits einen Bürgerkrieg vorhersehen wollen, verliefen die Proteste bisher friedlich. Den Demonstranten scheint klar, dass ein Präzedenzfall der Regierung den nötigen Vorwand gäbe, gegen die Opposition einzugreifen. Keine Gewalt gegenüber der Polizei oder auch der Armee, fordern die Oppositionsführer. Alle, so sagte der Kiewer Bürgermeister, sind Soldaten im Kampf gegen eine kriminelle Ukraine. Er spielte damit auf den kriminellen Hintergrund des Regierungskandidaten Janukowitsch an. Dieser war als Jugendlicher Mitglied einer Gang und zweimal im Gefängnis, unter anderem wegen Vergewaltigung.

Seit Tagen geht es in Kiew nur noch um einen Mann. Beim Brotkauf, beim Wasserholen, in der Metro – der Name des Oppositionskandidaten ist in aller Munde. An der öffentlichen Trinkwasserstelle sagt uns ein Kunst-Professor: „Alles wird gut, ich sage es Ihnen. Die Jungen lehren es uns Alten. Und was wollen die schon machen? Schießen? Das wäre doch etwas altmodisch. Alles wird gut!“


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