Kroatien

Lichtinstallationen im trüben Winter

Osijek, in der fruchtbaren slawonischen Ebene gelegen, galt immer als „Brotkorb“ der Region. Eine Stadt, inmitten üppiger Weizenfelder, unweit der ungarischen, serbischen und bosnischen Staatsgrenze. Wer hier abzweigt, mag sich zunächst fragen, ob er nicht etwa in Pécs oder einer anderen mitteleuropäischen Stadt gelandet ist. Denn die Architektur im k.u.k.-Stil weckt Erinnerungen an die Donaumonarchie, die auch anderswo in der Region ihre baulichen Spuren hinterließ. So wie in der Tvrdja, der Festung von Osijek. Im Sommer ein Touristenmagnet, in den tristen Wintermonaten eher sich selbst überlassen.

Wäre da nicht Bettina Lehmann, eine junge Deutsche aus Frankfurt an der Oder. Sie arbeitet seit fast anderthalb Jahren als Robert Bosch Kulturmanagerin in den Städtischen Galerien Osijek. Und hat erst im November, trotz dicker, grauer Winterwolken, ein wenig Licht in die Altstadt-Festung Tvrdja gebracht: Mit dem oOoze-Festival, bei dem sie auch mitgeholfen hat. Dabei hatten die Hauptorganisatoren die Idee, durch Lichtinstallationen und Videokunst dunkle Fassaden und Hinterhöfe an mehreren Stellen in der Stadt auszuleuchten, unter anderem in der Festung. Mit dem Programm im öffentlichen Raum erreiche man ein breitgefächertes Publikum, so die Vision der jungen Kulturmanagerin.

Bettina Lehmann rührt in ihrem Cappuccino, den ihr der Kellner gerade serviert hat. Wenn die dunkelblonde junge Frau von ihren Projekten erzählt, leuchten ihre blauen Augen. Und immer wieder ist es der „öffentliche Raum“, den die 28-Jährige erwähnt. Dieser ziehe ein ganz anderes Publikum an. Mit Ausstellungen in Museen spreche man nur eine begrenzte Anzahl von Menschen, meist nur die gleichen fünfzig, vielleicht auch hundert Interessierten, sagt die Kulturmanagerin. Der öffentliche Raum jedoch eröffne ganz neue Perspektiven. So wie es im Sommer der Fall war, bei einer Stadtführung, die von der Hamburger Gruppe „A wall is a screen“ in Osijek durchgeführt wurde: Eine Mauer diente bei dem Projekt jeweils als öffentliche Leinwand. Mehr als 200 Menschen zogen, unter Leitung von Bettina Lehmann, durch die Gassen von Osijek. An jedem Treffpunkt wurden thematisch passende Kurzfilme auf Häuserfassaden projiziert. Eine Imbissbude, die als nächtlicher Treffpunkt für hungrige Fans von Hamburgern und Čevapčići gilt, war der ideale Ort, um einen Kurzfilm über Fast Food zu zeigen.

Osijek, das sei noch eine Herausforderung. Eine Stadt mit Potenzial. Ein interessierter Partner habe sie sogar gefragt, ob man nicht einen Weltkulturgipfel hier veranstalten könne, erzählt Bettina Lehmann. Die Idee scheint nicht so abwegig, denn Osijek, dessen frühere deutsche Bezeichnung Esseg heute kaum noch gebräuchlich ist, blickt auf eine lange kulturelle Vergangenheit zurück. Es war die Stadt der donauschwäbischen Siedler, in deren Gassen über die Jahrhunderte hindurch Deutsch gesprochen wurde – bis diese im Zweiten Weltkrieg 1944 das Land verlassen mussten. Doch auch Serben, Ungarn, Juden lebten in dem kulturellen Schmelztiegel.

Heute ist die deutsche Kultur marginal, mit einem Dachverband und einer Zeitschrift wird hier altes Brauchtum gepflegt. Die Einschusslöcher an manchen Fassaden stammen nicht etwa aus jener Zeit, sondern aus den neunziger Jahren, als hier der jüngste Krieg (1991-1995) tobte und das demografische Bild abermals wandelte. Die meisten Serben sind geflüchtet, stattdessen kam eine breite Schicht aus dem Umland in die Stadt. Über den Krieg redet man heute untereinander kaum noch. „Mir gegenüber jedoch schon“, sagt Bettina Lehmann.

Ein Umfeld, das die Arbeit nicht gerade einfach gestaltet, könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch gerade darin sieht Bettina Lehmann die Herausforderung. Fernab der Hauptstadt habe sie zwei Jahre die Chance, mit ihrem Programm die so genannte Provinz zu beleben. Das Kulturleben sei hier weniger ausgereift, entsprechend sei es auch einfacher, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, da die örtlichen Journalisten eben keine zahlreichen Wahlmöglichkeiten hätten, so Bettina Lehmann.

Doch Osijek, immerhin viertgrößte Stadt Kroatiens, liegt keinesfalls an der Peripherie. Kulturell gehört die Stadt an der Drau dem mitteleuropäischen Kulturkreis an, in der österreichische Palatschinken (Pfannkuchen) und ungarisches Fiš-Paprikaš (Fisch-Gulasch) noch auf vielen Speisekarten stehen. Und unweit entfernt liegt die Europäische Kuturhauptstadt 2010, das ungarische Pécs. Hier hat Bettina Lehmann – ebenso wie im angrenzenden Bosnien-Herzegowina – Kollegen, die auch als Kulturmanager tätig sind. Da liegt es nahe, dass man sich vernetzt. Grenzüberschreitend, sagt Bettina Lehmann.

Bettina Lehman und das Berliner Laptoporchester „Endliche Automaten“ (Foto: Jan Zappner)

Dazu gehört etwa das Projekt des Berliner Laptoporchesters „Endliche Automaten“, das eine Kompositionsreise von Tschechien nach Bulgarien auch über Osijek geführt hatte. Das Konzept baut aufeinander auf: Die Mitglieder des Laptoporchesters arbeiten mit lokalen Komponisten zusammen, das Stück wird am nächsten Standort aufgeführt. In Osijek wurde gearbeitet, das Publikum im rumänischen Sibiu/Hermannstadt bekam das Resultat dann zu sehen. „Am Ende der Tournee kam ein ganz anderes Programm heraus.“

Osijek pflege hingegen ein anderes Kulturverständnis. Das sei mit ihrem Studienort Leipzig nicht vergleichbar. Zwar gäbe es auch hier aktive Leute, die sie recht schnell kennen gelernt habe, sagt Bettina Lehmann, aber es sei doch etwas Anderes. In Leipzig habe man, wenn einem etwas fehlte, oft selbst ein Kulturprojekt auf die Beine gestellt. Wie etwa die Künstlerresidenz „Blumen“, in der sich Kunstschaffende aus Russland, Georgien oder anderswo drei Monate verwirklichen können. Bettina Lehmann, die zu den Initiatoren des Projekts gehörte, will ihre Erfahrungen nun auch auf Osijek übertragen. Und ist damit bereits auf positives Interesse bei der Stadtverwaltung gestoßen.

Noch ein gutes halbes Jahr bleibt Bettina Lehmann, um ihre Pläne umzusetzen. Dann läuft ihr Stipendium als Kulturmanagerin in Osijek aus. Doch ihre Erfahrung will sie auf alle Fälle in ihre geplante Dissertation mit einfließen lassen. Möglicherweise über die Konzepte von Heimat und Fremde unter Künstlern aus und in der Region, die in der jüngsten Vergangenheit so viele Migrationsbewegungen erlebt hat. Und welchen Einfluss das auf die Produktionsbedingungen von Künstlern und Kulturschaffenden hat. Noch ist sich Bettina Lehmann nicht schlüssig, doch Ideen hat sie genug. Wie für ihr derzeitiges Projekt, den Kulturmanager-Posten in Osijek. „Was meine Ideen betrifft, könnte ich noch fünf Jahre bleiben“, sagt die junge Frau optimistisch.

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung entstanden.
Informationen zum Programm Robert Bosch Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa finden Sie unter www.kulturmanager.net.


Weitere Artikel