Polen

Praktizierte deutsch-polnische Verständigung

Gdansk (n-ost). Danzig im Jahr 1989: In einer kleinen Gasse in der Innenstadt werden Handzettel für die ersten (halb)freien Wahlen in Polen verteilt. Ein junger Mann in Jeans, Lederjacke und mit schwarzer Wollmütze auf dem Kopf ruft Parolen für das Wahlbündnis „Solidarität“ in sein Megafon. Alexandra Piatkowska eilt vorbei, weicht einem Kohlefuhrwerk aus, nimmt im Vorbeigehen einen Handzettel und verschwindet dann in Richtung Marienkirche aus dem Blickfeld der Kamera. „Dziękuje” – „Dankeschön”, sagt der Regisseur Robert Glinski. Die Szene ist im Kasten, und wir befinden uns wieder im Danzig des Jahres 2004.

Danzig heißt auf polnisch Gdansk. Genau wie Breslau oder Posen, die heute Wroclaw und Poznan heißen, markiert die Stadt ein Jahrhunderte währendes Spannungsverhältnis von Deutschen und Polen. Ein Spannungsverhältnis, das durch die EU-Mitgliedschaft Polens nicht wie erwartet gemildert wurde, sondern sich im Gegenteil jüngst durch Entschädigungsforderungen deutscher Heimatvertriebener und postwendender Reparationsforderungen des polnischen Parlamentes an die Bundesrepublik dramatisch verschärfte.

In solch einer Lage sind verbindende Gesten doppelt wichtig. Der in Danzig geborene Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass hat sich wie kein anderer um die deutsch-polnische Versöhnung verdient gemacht. Sein Roman „Unkenrufe“ schildert die großen Schwierigkeiten dieser Aussöhnung.
Drehbuchautor ist der auch in Deutschland bekannte Danziger Autor Pawel Huelle, der Grass sehr verehrt und bei den Vorarbeiten mit ihm engen Kontakt hatte.

Die meisten Dreharbeiten finden in Danzig und im litauischen Vilnius an den Originalschauplätzen statt. Auch in Köln, Düsseldorf und Bonn soll gedreht werden. Mit der Kino-Premiere wird für Herbst 2005 gerechnet, später soll der Film auch in der ARD gezeigt werden.

Wie durch die Romanvorlage vorgegeben, ist es ein deutsch-polnisches Team, das die Umsetzung versucht. Die weibliche Hauptrolle spielt die in Polen bekannte Schauspielerin Krystyna Janda. Ihr deutsches Pendant ist Matthias Habich.
Dass der 64-jährige Habich selbst in Danzig geboren wurde und im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern aus der Stadt flüchten musste, gibt dem Film zusätzlichen Reiz. „Ich habe noch einige sehr lebhafte Bilder von Danzig im Kopf. Als ich vor zehn Jahren erstmals wieder zurückkam, habe ich zum Beispiel mein Geburtshaus gefunden, ohne zu fragen.“, erzählt der Schauspieler. Die Verbindung mit der Stadt sei einer der Gründe gewesen, die Rolle des Professor Reschke anzunehmen, eines deutschen Witwers, der sich in seiner Geburtsstadt Danzig in eine polnische Witwe verliebt.

Diese Liebesgeschichte des Paares jenseits der 50 bildet die Hauptebene des Filmes, erklärt Henryk Romanowski, der polnische Produzent von „Unkenrufe“. Rahmen der Handlung seien die politischen Ereignisse des Jahres 1989. Und schließlich gebe es als dritte Ebene die Rückblenden in die Kindheit der beiden Hauptpersonen: Alexandra wuchs im damals noch zu Polen gehörenden Vilnius auf, Alexander in Danzig während der NS-Zeit.

Die Dreharbeiten zu letzteren Szenen erregten einiges Aufsehen in der Danziger Innenstadt: Hakenkreuzflaggen, NS-Uniformen und ein als Adolf Hitler kostümierter Schauspieler riefen bei manchen älteren Menschen entsetzte Reaktionen hervor: „Ich weiß, dass es ein Film ist, aber durch diese Szenen werden alle Erinnerungen an die Kriegsjahre wieder wach. “, sagte eine verstörte Passantin der Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

Polarisieren soll der Film aber eigentlich nicht. Regisseur Glinski ist der Auffassung, das Werk solle eine Stimme in der Diskussion um die deutsch-polnischen Beziehungen sein. Grass selbst drückte in einer Presseerklärung die Hoffnung aus, der Film möge ein Beitrag „zur Annäherung zwischen Deutschen und Polen, zum besseren Verständnis und vielleicht zur lachenden Überwindung der gegenwärtigen Störversuche“ sein.

Und zumindest bei den Dreharbeiten findet diese Annäherung statt. „Natürlich gibt es ein Sprachproblem.“, sagt Habich. „Manchmal dauert es ein bisschen länger, weil alles durch verschiedene Übersetzungen laufen muss.“ Davon abgesehen verliefen die Arbeiten aber reibungslos.

Szenenwechsel: Die Corpus-Christi-Kirche direkt hinter dem Hauptbahnhof. Alexander und Alexandra treten durch die Tür, schauen sich suchend um und steuern dann die Kirchenbänke an. In der fünftletzten Reihe findet Alexander schließlich den Eingang zu der Gruft, die er gesucht hat. „Grab“ sagt er und gibt damit das Stichwort für das Ende der Szene.

Gleichzeitig ist es auch das Stichwort für das Thema des Filmes: Es geht um Gräber für Vertriebene, die in ihrer alten Heimat beerdigt werden wollen. Zu diesem Zweck gründen Alexander und Alexandra so genannte „Versöhnungsfriedhöfe“. Doch mit der Versöhnung will es nicht recht klappen. Die wohlmeinende Idee endet in einer Kommerzialisierung der von ihnen gegründeten „Friedhofsgesellschaft“: Feriensiedlungen und Golfplätze für deutsche Angehörige der Verstorbenen in Polen werden gebaut.

Landpachtungen und Landbesitz von Deutschen in Polen, das ist im Nachbarland ein heikles Thema. Und so führt auch die Tätigkeit der Friedhofsgesellschaft in „Unkenrufe“ zu Animositäten und der Wiederbelebung gegenseitiger Ressentiments. Die Geschichte, die der Film erzählt, hat Habichs Ansicht nach deshalb keine Aussöhnungstendenzen. Die Dreharbeiten dagegen seien durchaus ein Schritt, sich zu nähern „Was wir hier machen, ist ja so ein Beitrag zur deutsch-polnischen Aussöhnung. Es ist praktizierte deutsch-polnische Verständigung.“


*** Ende ***


Weitere Artikel