Kroatien

Das Recht auf ein Glas Wein

Das Fest des Heiligen Martin ist für Branka Kovacic vor allem mit Arbeit verbunden: Da gilt es, Familie und Freunde einzuladen, Strudel zu backen und hausgemachten Speck bei den Verwandten in Slawonien zu bestellen. Schließlich darf die Zagreber Rentnerin nicht vergessen, den Heiligen Martin zu bestellen. Meist findet sich dieser in der Nachbarschaft und hat die symbolische Aufgabe, den jungen Wein mit Gebeten zu segnen und die Winzer für ihre Arbeit zu loben. Zu diesem Festessen am Abend des 11. November bringt gewöhnlich jeder Weinbauer seinen eigenen Most mit, der frühestens an diesem Tag getrunken werden darf. Einmal seien bei der Weihe elf verschiedene Sorten zusammen gekommen, pflegt sich Branka Kovacic zu erinnern. Natürlich hätte man alle der Reihe nach probieren müssen.

In diesem Jahr gelten jedoch andere Spielregeln für Weinliebhaber in Kroatien: Ein neues Verkehrsgesetz sieht seit September die Null-Promille-Regelung am Steuer vor. Wer dennoch nicht auf sein Glas Wein zum Essen verzichten kann, wird selbst mit vergleichsweise niedrigen Werten bis zu 0,5 Promille Alkohol im Blut mit knapp 200 Euro zur Kasse gebeten. Für Radfahrer gelten ähnlich hohe Geldstrafen.

Die neue Regelung hat landesweit Empörung hervorgerufen. Die Entwicklung des Tourismus sei dadurch ernsthaft gefährdet, da das Gesetz den Gast davon abhalten würde, ein Glas Wein zum Essen zu konsumieren, so die Vereinigung der Hoteliers, Gastronomen und Reiseveranstalter in Zagreb. Daher hat die Berufsorganisation, die landesweit 3 500 Mitglieder zählt, die Kampagne „Das Recht auf ein Glas Wein“ ins Leben gerufen und fordert mit Petitionen die alte Alkoholgrenze von 0,5 Prozent zurück.

Der Leiter der Tourismusbehörde Dubrovnik-Neretva, Aljosa Milat, kommentierte den Beschluss gar als „Kulturozid“, da der Genuss von Wein alltäglicher Bestandteil der kroatischen Kultur und Tradition sei. Sogar katholische Geistliche mischten sich in die öffentliche Debatte ein: Nun würden sie gesetzlich daran gehindert, nach der Eucharistiefeier zwischen den einzelnen Kirchen mit dem Auto zu pendeln, sagten sie gegenüber kroatischen Medien.

Die Entscheidung der Regierung sei paradox, so die Kroatische Winzervereinigung: Einerseits werde der Weinbau im Land intensiv gefördert, andererseits werde der Konsument durch das neue Gesetz am Weingenuss gehindert. Die Organisation verweist auf andere touristisch ausgerichtete Länder in Europa wie Deutschland oder Österreich, die mindestens 0,5 Promille am Steuer tolerieren. In der Schweiz und in England kommen Verkehrsteilnehmer gar mit 0,8 Promille unbehelligt davon. Da es in diesen Ländern jedoch weniger Verkehrsunfälle als in Kroatien gäbe, müsse nach einer anderen Ursache gesucht werden, so das Argument der Gesetzesgegner. Befürworter der strikten Regelung verweisen hingegen auf touristisch orientierte Länder wie Rumänien oder Ungarn, in denen zwar absolutes Alkoholverbot gelte, die sich jedoch nicht über mangelnde Gäste beklagen könnten.

Die Freie Bürgervereinigung Slawonien-Baranja sieht nun die Existenz der kroatischen Winzer massiv gefährdet: Das neue Gesetz könne zu einem drastischen Anstieg von Coca-Cola und anderen Importgetränken führen und so die heimischen Weinbauern in den Ruin treiben. Kroatien produziert nur in geringem Umfang für den internationalen Markt und ist daher stark von der Nachfrage auf dem Binnenmarkt abhängig.

Premierminister Ivo Sanader zeigt sich hingegen von den Protesten unberührt: Erst wenn sich die Zahl der Unfallopfer mindestens halbiert und die kroatische Gesellschaft ihre Mündigkeit gezeigt habe, könne man über eine erneute Gesetzesänderung nachdenken.

Bislang ist bei jedem 18. Unfall auf kroatischen Straßen Alkohol im Spiel. Medizinische Studien haben unterdessen ergeben, dass die Fahrtüchtigkeit bereits ab 0,2 Promille eingeschränkt sein kann – was umgerechnet einem Glas Wein entspricht.


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