Das weiße Lächeln der Westukraine
Lubas herzliches Lachen erfüllt die Marschroutka, das Sammeltaxi, das sich über die unebene, ukrainische Asphaltpiste kurz hinter dem Grenzübergang Przemysl im Süden Polens quält. Mit dem Kopf nickt sie in Richtung Beifahrersitz, auf dem ihre Tochter Maria traurig aus dem Fenster starrt. „Sie hat sich während der Arbeit auf dem Erdbeerfeld in einen polnischen Jungen verliebt. Das ist ihre Art der Ost-West Annäherung!“ Seit mehreren Jahren schon fährt Luba auf die Erbeerplantage in der Nähe von Warschau. Dieses Jahr waren das erste Mal ihre beiden siebzehnjährigen Zwillingstöchter mit dabei. Die Universität sollen sie abschließen und später im Ausland arbeiten, so wünscht es sich die Mutter. „Bei uns findet man nur schlecht bezahlte Jobs. Deshalb sollen sie sich schon jetzt an die Arbeit im Ausland gewöhnen.“
In Vykoty, einem kleinen Dorf an der Straße nach Sambir, kennen sich viele Menschen gut mit der Arbeit im Ausland aus. Die Männer arbeiten meist auf dem Bau in Tschechien oder Portugal während die Frauen für Pflege- oder Haushaltsarbeiten lieber nach Italien gehen. Die Früchte ihrer Arbeit sind unschwer an den neuen Häusern zu erkennen, die in ganz Vykoty wie Pilze aus dem Boden schießen. Noch erreicht kein Dachgiebel die Höhe der orthodoxen Kirche, dreistöckige Häuser sind jedoch keine Seltenheit mehr.
„Drei Jahre haben wir an unserem Haus gebaut und 20.000 Dollar hineingesteckt.“ Nadja, 44 Jahre alt, sitzt in ihrer Küche, deren Möbel mit Marmorfurnieren überklebt sind und dadurch eine seltsame Kühle ausstrahlen. Der Weg zum eigenen Haus war für Nadja und ihren Mann Wlodymir nicht einfach. Nach dem Studium der Agrarökonomie und der Geburt ihrer ersten Tochter Lesia arbeitete sie zunächst in der Landwirtschaft. Anfang der neunziger Jahre, mit der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine von Russland, verloren sie ihre gesamten Ersparnisse durch eine Bankkrise. „Seitdem traue ich keiner Bank mehr und behalte das Geld lieber bei mir“, flüstert sie und in ihren Augen ist der Schock von damals noch erkennbar. Als die wirtschaftliche Situation in der Ukraine immer schlechter wird, fährt sie 1996 das erste Mal nach Polen. Dort findet sie zunächst Arbeit bei der Kirschernte, anschließend auf dem Bau und dann in einer Wannenfabrik. Als die Fabrik schließen muss, beginnt sie mit dem Alkohol- und Zigarettenhandel. Dabei ist sie geblieben und verdient seit sechs Jahren an jeder verkauften Stange ca. drei Dollar und an jeder Wodkaflasche einen Dollar. „Die Hauptsache ist, dass ich jedes Wochenende nach Hause kann und meine Kinder und Enkel sehe“ sagt Luba. „In Italien könnte ich deshalb nie arbeiten. Es sind schon viele Familien nur daran zerbrochen, dass einer weit weg gegangen ist. Das möchte ich auf keinen Fall.“
Die Ehe von Vitali hält noch. Zumindest auf dem Papier. Er sitzt in seinem Wohnzimmer vor einem Glas Wodka und die zugezogenen Vorhänge erhellen den kleinen Raum nur spärlich. In sein Gesicht sind tiefe Furchen eingegraben. Die blauen, schon etwas glasigen Augen stechen beim Sprechen durch einen hindurch und sind gleichzeitig von einer tiefen Melancholie erfüllt. „Ich bin 50 Jahre alt, so was kann doch keiner da drüben brauchen.“ Er zeigt auf seine dünnen Arme und man spürt, dass er sich auch hier nicht besonders nützlich fühlt. „Meine Frau ist seit fünf Jahren in Italien, seitdem bin ich die meiste Zeit allein.“ Dass die beiden noch verheiratet sind ist ungewöhnlich. Viele Frauen treffen im Ausland Männer, die ihnen den Einstieg in eine neue Welt ermöglichen. Der nächste Schritt ist dann oft die Scheidung. Wie tief der Schmerz darüber wirklich sitzt kann Vitali nicht aussprechen. Da schenkt er lieber noch mal ein Glas Wodka ein. „Auf die goldene Zukunft der Ukraine!“
Halina hat ihren neuen Mann in Italien kennen gelernt. „Ich habe Roman schon nach 5 Tagen getroffen.“ Sie putzt ihrer einjährigen Tochter die Nase. „Vor zwei Jahren haben wir geheiratet – orthodox, denn er ist Ukrainer.“ Nach der Heirat hat er ihr erzählt, dass sie Glück hatte, erst so kurz in Italien gewesen zu sein. Die ukrainischen Frauen sind dort unter den Männern schnell als Huren verschrien. „Ich habe mir inzwischen auch die Haare schwarz gefärbt. Die Italiener sind verrückt nach uns blonden Mädchen.“ Halinas Sohn Vitali ist von ihrem ersten Mann. Der ist nicht von der Arbeit aus Tschechien zurückgekommen und hat sich scheiden lassen. Vor Fremden erzählt sie jedoch, dass er bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.
Am schwierigsten zu ertragen ist die Zerrissenheit der Familien für die Kinder. „Wir versuchen, durch weitere Angebote wie Nachhilfe oder Kunstunterricht außerhalb der Schulzeiten, die fehlende Möglichkeiten in den Familien auszugleichen“ erklärt der Schuldirektor des Ortes. Er kann aber auch die Eltern verstehen, die in diesen Zeiten ihr Glück im Ausland versuchen. „Noch vor ein paar Jahren musste ich meine Lehrer mit Wodka bezahlen, da ich kein Geld von der zuständigen Stadt bekam. Jetzt bekommen sie wenigstens 20 Dollar Monatsgehalt ausbezahlt. Aber was ist das schon.“
Ivan Ivanovitsch ist der mächtigste Geschäftsmann im Ort. Eine ganze Kolchose gehört ihm. Er spielt unablässig mit zwei Handys und manchmal verschwinden sie dabei in seinen großen Händen. Die heruntergekommenen Gebäude hat er vor drei Jahren gekauft, notdürftig instand gesetzt und betreibt nun eine Schweinefarm und einen Fuhrpark. Auf 200 Hektar baut er Weizen an, den er mit deutschen Erntemaschinen aus den 70er Jahren einholt. Das Startkapital hat er sich nach der Unabhängigkeit mit Autohandel aus Deutschland in die Ukraine verdient. „Das Geschäft lief sehr gut, die Leute waren verrückt nach Autos. Mein Traum war aber immer eine Farm wie diese.“ Inzwischen beschäftigt er 20 Angestellte. Er selbst arbeitet täglich 17 Stunden ohne Wochenenden oder Urlaub. „Die wirtschaftliche Situation hier wird sich nicht verändern, solange die Menschen diese sowjetische Arbeitsmentalität im Kopf haben.“ Er wiegt seinen Kopf hin- und her und schaut dann fast traurig aus seinen braunen Augen, die von schwarzen Ringen gezeichnet sind. „Selbst meine eigenen Arbeiter muss ich kontrollieren, damit die nicht faulenzen. Ist das zu glauben?“
Menschen wie Ivan Ivanovitsch markieren vielleicht den Anfang einer wirtschaftlichen Eigenständigkeit in der Ukraine. An der Arbeitsmigration wird sich jedoch so schnell nichts ändern. Allerdings ist in letzter Zeit ein neuer Trend aus Westen herübergekommen. Nachdem sie ihre Häuser gebaut haben, lassen sich Frauen und Männer seit kurzem ihre Goldzähne durch Porzellanbrücken ersetzten. Sie wollen sich im Ausland nicht so offensichtlich von den Einheimischen unterscheiden. Und so kann man in Zukunft schon von weitem am Lächeln erkennen, wer im Ausland arbeitet.