Atemholen vor dem Referendum
Minsk (n-ost). Ob es in diesem Jahr wieder eine Deutsche Woche geben würde, war noch im August ungewiss. Die private Europäische Humanistische Universität (EHU) hatte gerade ihre Lehrlizenz eingebüßt und es war nicht klar, ob das dort ansässige Institut für Deutschlandstudien (IfD) Zeit und die Kraft finden würde, beides hinzubekommen: die Unterstützung der Studenten bei der Suche nach einem neuen Studienplatz und die Koordination der Deutschen Woche. Unterdessen sind die Minsker Studenten untergebracht und die Deutsche Woche war ein voller Erfolg. Wie bereits im letzten Jahr wurde sie von Organisationen ausgerichtet, die vor Ort aktiv sind: dem DAAD, dem Goethe-Institut, der Bosch-Stiftung, Adenauer-Stiftung und dem Freundschaftsverein „Belarus-Deutschland“.
Unter den angespannten Rahmenbedingungen konnte es nicht weiter verwundern, dass aus der Deutschen Woche keine „politische“ Woche wurde. Die Veranstalter verwarfen jeden Gedanken daran, beispielsweise die Schließung der EHU zu thematisieren. Martin Hecker, der deutsche Botschafter in Minsk und Schirmherr der Deutschen Woche, vermied in seinem Grußwort jene klare Sprache, die er in seinen Interviews pflegt.
Die kritischsten Worte fand die Belarus-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion Claudia Nolte. Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung sprach sie über den ostdeutschen Transformationsprozess und stellte Parallelen her zwischen der Situation in der DDR Ende der 80er Jahre und Belarus heute. In einer Pressekonferenz betonte sie, bezüglich Belarus seien in Deutschland Regierung und Opposition auf einer Linie. Sie kündigte an, Deutschland werde den Verlauf des Referendums und der Parlamentswahlen genau verfolgen. In anschließenden Workshops zeigte sich die Adenauer-Stiftung um thematisches Profil bemüht. Thema war unter anderem die Überführung einer sozialistischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. In einer anderen Arbeitsgruppe reflektierten Studenten das Verhältnis von nationaler Souveränität und dem Verlust von Mitspracherechten in einem Staatenbund – allein das Thema erscheint mutig in einem Land, in dem die ständige Rede von der „Einmischung in innere Angelegenheiten“ längst zum alltäglichen Todschlagsargument gegen Kritik geworden ist. Andere Veranstalter waren vorsichtiger. Die Absicht, ein modernes Deutschlandbild zu präsentieren, trat im Vergleich zum letzten Jahr in den Hintergrund, wenngleich etwa die Ausstellung „Jugend engagiert sich“ unter den Minsker Studenten auf großes Interesse stieß. So wurde die Deutsche Woche dieses Jahr vor allem eine Woche des Gesprächs und der Begegnung. Anders als noch letztes Jahr gab es diesmal auch Resonanz in den staatlichen belarussischen Medien. Presse und Rundfunk veröffentlichten Berichte, sogar das Fernsehen berichtete über das deutsch-belarussische Treffen.
Weil das gesprochene Wort die Verständigung mitunter eher zu behindern scheint, war die Deutsche Woche in Minsk dieses Jahr auch eine Woche der Musik. Filme wie „Comedian Harmonists“ und experimentelle Popvideos repräsentierten deutsche Gegenwartskultur, Klassik und Volksmusik erweiterten das Spektrum. Mit einer Disco schließlich ging die Deutsche Woche am vergangenen Sonntag zu Ende. Es wurde deutlich, dass trotz der politischen Isolation zwischen den Menschen ein geradezu herzlicher Dialog geführt wird.
*** ENDE***
Fotos von Marcus Schöbel:
Foto1: Diese Deutschlandkarte entstand während eines Workshops. Zu sehen u.a. die Arbeitsagentur (zentral), Bilder von Berlin und Dresden und der Strand von Usedom (auf der Karte nach Rheinland-Pfalz gerutscht, was aber die Teilnehmer nicht störte).
Foto3: Barbara Fraenkel-Thonet, Direktorin des Minsker Goethe-Instituts, überreicht der Teilnehmerin eines Preisrätsels den Hauptpreis, einen Sprachkurs in Deutschland.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze Nachricht an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Die Honorierung des Artikels und der Fotos erfolgt nach den marktüblichen Sätzen.
Belegexemplare bitte an die folgende Adresse:
n-ost/ Schillerstr. 57/ 10627 Berlin