Trommelwirbel in Belarus: Auftritt Normalität
Trommelwirbel in Belarus: Auftritt Normalität
von Vivi Bentin (Mail: vivster@gmx.de, Tel. 0431-2599644)
In wenigen Tagen ist das belarussische Wahlvolk aufgerufen, sich an die Wahlurnen zu begeben. Wieder einmal, ohne dass durch das neue Parlament allzu große Veränderungen erwartet werden. Aber was ist eigentlich mit den Menschen in Belarus, insbesondere mit den Jugendlichen? Was interessiert sie, womit beschäftigen sie sich? Ein Blick in die alternative Musikszene zeigt, dass es dort so anders als im Westen gar nicht ausschaut. Und dass Experimente möglich sind.
Minsk (n-ost). Dumpfes Getrommel unter der Brücke im Minsker Gorki-Park. Es ist dunkel, ein paar verlorene Gestalten drücken sich entlang des Ufers des Flüsschens Svislotsch. Dann das Flackern von Feuer aus dem Durchgang unter der Brücke. Gespenstisch, wild, aber unermüdlich. Wie die Jungs, die im Rauch der Fackeln ihre Trommeln bearbeiten: die Band DrumEcstasy. Um sie herum stehen etwa 80 Gestalten mit hoch gezogenen Schultern. Die kühle Herbstluft beißt schon ins Gesicht, und so schieben sich die jugendlichen Zuschauer möglichst nah an die züngelnden Flammen.
Die ekstatischen Trommler spielen nicht irgendwo, sondern in der Hauptstadt von Belarus, einem Staat, in dem es noch eine U-Bahn-Station namens „Leninplatz“ gibt und den KGB. Und den autoritären Staatschef Aleksander Lukaschenka, der das Land – aus westlicher Sicht – immer weiter ins politische Abseits manövriert. Zwar sind am 17. Oktober Parlamentswahlen, aber schon jetzt ist klar, dass die Opposition kaum mehr als eine Statistenrolle übernehmen wird. Die Jungs von DrumEcstasy haben ihren eigenen Weg gefunden, mit der scheinbar aussichtslosen Lage umzugehen: mit Musik.
Zwei Musikstudenten, ein Werbefachmann und ein Beleuchter haben sich zusammengetan und ihre eigene Welt aufgebaut, ein Stück Normalität in einem manchmal verrückt erscheinenden Staat. Einer von ihnen spielt Bass, die anderen sind Schlagzeuger. „Einen Teil der Trommeln haben wir selbst gebaut“, sagt Frontmann Phillipe nicht ohne Stolz. Bei einer ganz besonders ausgefallen Nummer haben sie ihre Instrumente auch schon mal mit Geigenbogen, Tassen oder sogar Bohrmaschinen bearbeitet.
Das Konzert im Gorki-Park gehört mittlerweile schon zur Tradition. Jedes Jahr im November Zeit erinnern die vier Trommler sich damit an die Gründung ihrer Truppe vor elf Jahren. „Letztes Mal hat uns die Polizei fast geschnappt“, grinst Stepan. „Aber unsere Fans haben sie angebettelt, dass wir freigelassen werden, und alles ist gut gegangen. Das Konzert war illegal, für diese Location ist es fast unmöglich, eine Genehmigung zu bekommen.“ Das wäre auch in einer deutschen Großstadt kaum anders, und genau wie fanatische Musiker hierzulande denkt DrumEcstasy gar nicht daran aufzugeben. „Nächstes Mal richten wir mit unseren Freunden ein Warndienst ein, und dann sind wir weg, bevor die Bullen kommen“, verrät Philipe mit einem verschmitzten Lächeln.
Aber „laut“ ist nicht die einzige Beschreibung für den Musikstil von DrumEcstasy. „Wir spielen eigentlich Musik aus sämtlichen Stilrichtungen und bei allen möglichen Anlässen“, erklärt Sascha, „sei es Jazz oder lateinamerikanische Rhythmen in Klubs, orientalische oder belarussische Musik bei festlichen Anlässen.“. Aufgeregt schaltet sich Stepan ins Gespräch ein: „Eine Sache war besonders cool, da gab es eine Stummfilmaufführung vom ‚Urfaust’, und wir haben dazu getrommelt.“ Selbst während er redet, sind seine Hände ständig in Bewegung. Tock, klack, tock auf den Küchentisch.
Auch wenn ihre Art, Musik zu machen revolutionär ist, will sich keiner der Jungs über seine politischen Überzeugungen äußern. „Das ist mir zu intim.“, lautet Philippes Antwort. Die Anderen lachen. Aber dann setzt er nach: „Nein, in Ernst, meine politische Einstellung ist schwer zu erklären. Ein Politiker könnte wahrscheinlich genauer sagen, in welche politische Richtung ich gehöre. Natürlich sind wir Leute mit sehr genauen Vorstellungen. Das heißt, wir sind nicht apolitisch, aber vielmehr gesellschaftlich engagiert“.
Die vier Jungs der Band sind auch schon in Frauenkleidern aufgetreten, zur Unterstützung der belarussischen Transvestiten. Aber genauso haben sie auch bei der Eröffnung der VW-Filiale in Moskau vor fünf Jahren gespielt. So gesehen sind die Mitglieder von DrumEcstasy bei ihrer Arbeit ganz pragmatisch. Sie trommeln nicht nur aus Idealismus, irgendwann soll sich die Plackerei auch materiell lohnen. Stepan zuckt die Schultern. „Natürlich möchte die Gruppe auch Geld verdienen, und das tun wir auch. Musik war stand schon immer im Mittelpunkt unseres Lebens. Wenn man etwas von Kindheit getan hat, dann möchte man als Erwachsener damit auch einmal Geld, eben seine Brötchen, verdienen. Und das möglichst bald.“
So träumen die jungen Weißrussen die gleichen Träume wie viele Gleichaltrige in anderen Ländern, trotz aller politischen Unwägbarkeiten und der eingeklemmten Lage zwischen der sich immer weiter vergrößernden EU auf der einen und dem immer noch sehr wackligen Russland auf der anderen Seite. „Aber das ist eigentlich gar nicht so schlecht.“ meint Stepan. „Wir sind hier doch irgendwie genau zwischen Ost und West. Von Minsk aus ist man in nur einer Nacht in Berlin, Kiew oder Moskau. Nach Warschau und Vilnius ist es nur ein Katzensprung.“ Aus Minsk weg gehen, nein, das komme nicht in die Tüte. Beide, der schmächtige Stepan und der bullige Phillipe schütteln den Kopf. Phillipe fängt schon wieder an, seine Trommel zu bearbeiten. „Ich würde mir wünschen, dass Europa offener wäre. Und genauso sollte auch Russland offener sein für das, was nicht direkt in Moskau produziert wird. Es gibt bestimmte Leute, die schlechten Geschmack verbreiten und damit auch noch Geld verdienen. Dagegen wollen wir etwas tun. Allgemein wird die Musik aber besser, und an dem Prozess wollen wir teilnehmen.“ Er grinst: „ Deshalb spielen wir ja auch so laut.“.
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