Usbekistan

Verschleppt und zur Heirat gezwungen

An einem sonnigen Märztag, nach der Mittagspause, machte sich Muchabat Ilmuratowa (Namen geändert) auf den Weg zur Arbeit. Seit zwei Jahren unterrichtet die 24-jährige die siebten Klassen einer Mittelschule am Rande von Nukus, der Hauptstadt Karakalpakstans, einer autonomen Region im Norden Usbekistans - als plötzlich ein roter Moskwitsch mit quietschenden Reifen neben ihr hält. Drei Männer springen heraus. Die junge Frau versucht zu fliehen, klammert sich verzweifelt an den Gartenzaun direkt neben ihrer Schule und schreit laut um Hilfe. Einer der Männer jedoch packt ihre Arme, die zwei anderen ihre Beine. Sie werfen sie ins Auto „wie ein eine Kuh oder ein Schaf“, wie Ilmuratowas Anwalt später erzählen wird, und fahren davon.

Heute, fünf Monate später, sitzt die Frau im Haus ihrer Eltern und kämpft mit den Tränen. Sie kannte die drei Männer. Allerdings nur vom Sehen. Einer, Ahmed Khainasarow, fährt einen Kleinbus auf der Strecke von ihrem Elternhaus in die Stadt, und das, was sich wie Menschenraub anhört, war in Wirklichkeit seine Art ihr einen Heiratsantrag zu machen.

Ilmuratowa wurde Opfer einer Brautentführung, einer Praxis, nach der in den zentralasiatischen Ländern mit nomadischer Tradition auch heute noch die Mehrzahl der Ehen geschlossen werden. In Karakalpakstan, im Süden Kasachstans, in Kirgistan und Turkmenistan hat der Brauch überlebt, und nach den jüngsten Untersuchungen von Nichtregierungsorganisationen werden in Karakalpakstan ebenso wie in einigen Regionen Süd-Kasachstans 80 Prozent der Ehen durch Entführungen geschlossen. Wieviele Fälle davon mit Zustimmung der Frau geschehen, ist nicht bekannt. Nach einer Umfrage des US-amerikanischen Sozialwissenschaftlers Russ Kleinbach in Kirgistan vergewaltigen in jedem vierten Fall die Entführer die Braut.

Aus der Reihe fällt Ilmuratowas Fall nur, weil sie nicht in die Ehe mit ihrem Entführer eingewilligt hat. Das zentrale Element, das die Frauen in Karakalpakstan fast immer in die Ehe einwilligen lässt, ist, dass der Tradition nach eine junge Frau als verheiratet gilt, wenn sie ein paar Stunden im Haus eines fremden Mannes verbrachte. „Dann besteht der Verdacht, dass sie nicht mehr Jungfrau ist.“, erläutert Klara Utaberganowa, die Chefin der Nicht-Regierungsorganisation „Frau und Familie“ in Nukus, die sich gegen Brautentführungen engagiert. Einen anderen Ehemann würden sie dann kaum mehr finden.

Auch in ihrem Fall, sagt Ilmuratowa, war der Druck auf sie in die Heirat einzuwilligen groß. Erst vor kurzem seien die Gerüchte in ihrer Umgebung über die Entführung verstummt. „In den Augen der Leute war ich es, die etwas falsch gemacht hat. Für sie war ich eine Erpresserin, eine Frau, die einem Mann erst schöne Augen gemacht hat, und ihn dann hat abblitzen lassen, weil er nicht genug Geld hatte.“ Doch Ilmuratowa gab dem Druck nicht nach. Weil sie Blutergüsse am gesamten Körper und Schmerzen im Bauch hatte, erstattete sie Anzeige bei der Polizei. In dem Prozess wurden die drei Männer zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Anführer muss drei Jahre lang, monatlich rund fünf Euro bezahlen, seine Komplizen nur zwei Jahre lang.

“Verfahren in diesen Fällen sind in Karakalpakstan selten, und wenn doch, dann ist eine Geldstrafe der Normalfall.“, sagt Gulnara Bazarbaewa, die Oberste Richterin am Amtsgerichtes in Nukus. „Die Brautentführungen scheinen auch soweit gesellschaftlich akzeptiert, dass die Sicherheitskräfte nicht eingreifen. „Ich habe schon oft Entführungen gesehen.“, zitierte vor kurzem eine Lokalzeitung in Nukus einen nicht namentlich genannten Polizei-Hauptmann. „Ich greife nicht ein, denn ich weiß, dass in den meisten Fällen beide Seiten einverstanden sind. Und wenn nicht, dann würden sie denken, dass ich für eine Seite Partei ergreife.“

In Ilmuratowas Verfahren hat einer der zwei Komplizen ausgesagt, dass Khainasarow schon 30 Jahre alt ist und sehr schüchtern. Weil Khainasarow immer noch nicht verheiratet ist, habe er vorgeschlagen ihm zu helfen eine Frau zu besorgen. Khainasarow selbst sagt, dass er Ilmuratowa vom Sehen kannte und die Leute in ihrer Nachbarschaft nach ihr gefragt hat. „Jeder sagte mir, dass sie einen guten Charakter hat.“ Auf die Frage, warum er sie denn mit Gewalt entführt habe, sagt er mit einem verschämten Grinsen: „So ist unsere Tradition!“ Und: Würde er wieder eine Entführung machen? „Ja, würde ich. Die fünf Euro, die ich monatlich bezahlen muss, tun mir nicht weh.“ Das nächste Mal würde er jedoch kein Auto mehr nehmen, sagt er, sondern es zu Fuß tun. Warum? „Na, dann kommt die Frau vielleicht mit.“

Was die karakalpakische Tradition angeht ist Ilmuratowa mit ihrem Entführer auf jeden Fall einer Meinung. Sie sagt: „Brautentführungen sind eine Tradition bei uns, und solche Fälle ohne Zustimmung der Braut wie bei mir sind ja selten. Besser wäre es, Mann und Frau würden sich verabreden, um einen Familie zu gründen. Die Entführungen aber können wir nicht stoppen. Die sind einfach eine Tradition.“


Weitere Artikel