Polen

Neuer Ruhm für Architekt Mendelsohn


Olsztyn (n-ost). Es ist kein schönes Stadtviertel in ermländischen Allenstein, tief im Nordosten Polens. Während sich die Touristen in der Altstadt durch die Fußgängerzone schieben und bei Kaffee und Kuchen sich die Zeit auf dem aufgehübschten Marktplatz vertreiben, stört in der Nähe des ungastlichen Westbahnhofs niemand die Stille in der mit Kopfsteinpflaster befestigten ul. Zyndrama z Maszkowic.

Scheinbar unbemerkt steht hier das erste Bauwerk des berühmten jüdischen Architekten und Vertreter des frühen Expressionismus Erich Mendelsohn. Für die jüdische Gemeinde entwarf der 1887 in Allenstein geborene Mendelsohn die Leichenhalle für den angrenzenden Friedhof. Sie wurde 1913 eröffnet. In dem „Bet Tahara“ wurden die Toten gemäß jüdischer Tradition vor dem Begräbnis gereinigt und gewaschen.

Für den damals in München Architektur studierenden Mendelsohn war dies der Auftakt einer beeindruckenden Karriere. Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Soldat in Frankreich und Russland überlebt hatte, gründete er in Berlin sein eigenes Büro. Rasch hatte er Erfolg. Bis zu 40 Mitarbeiter waren für ihn tätig. Er entwarf Kaufhäuser, Fabriken und Villen in ganz Deutschland. Der Einsteinturm in Potsdam, dessen Bau 1924 beendet wurde, ist sein wohl bekanntestes Kunstwerk. Die nationalsozialistische Machtergreifung zwang Mendelsohn 1933 zur Emigration nach England, wo er weiter als Architekt arbeitete. 1941 wanderte er in die USA und starb 1953 in San Francisco an Krebs. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts.

In Vergessenheit geriet lange Zeit sein Debütwerk, die jüdische Leichenhalle in Allenstein. Das Leben der jüdischen Gemeinde war durch den NS-Terror im damaligen Ostpreußen ausgelöscht, der jüdische Friedhof hinter der Halle wurde in den 60er Jahren zerstört. Im schlichten „Haus der Reinigung“ residierte bis 1996 das Staatsarchiv. Danach stand es leer. Die Folgen davon sind heute gut sichtbar: Türen und Fenster sind vergittert, die Kellerfenster zugemüllt, Schmierereien verunstalten die Wände, Unkraut macht sich breit. An der Rückseite lassen Obdachlose auch an diesem Nachmittag wieder die Wodkaflaschen kreisen, der Boden ist übersät mit Bechern und Flaschen.

Der Verwahrlosung Einhalt gebieten will jetzt die in Allenstein ansässige Kulturgemeinschaft „Borussia“. „Das Mendelsohnhaus soll ein Ort der Begegnung für Menschen verschiedener Kulturen, Nationalitäten und Weltanschauungen werden“, sagt Projektleiterin Ewa Romanowska. Bibliothek, Archiv, eine Galerie mit einer Dauerausstellung zu Mendelsohn und der Geschichte der Allensteiner Juden sowie ein Kulturzentrum sollen Herzstück der neuen Begegnungsstätte sein. Noch ist der unklar, wie Stadt, lokale Behörden und andere Organisationen in das Projekt eingebunden werden sollen, aber eine schwierige Hürde wurde im August bereits genommen: Für 30 Jahre nimmt „Borussia“ die Immobilie von der polnischen Stiftung zum Schutz des jüdischen Eigentums in Pacht. Finanziert wird der Umbau vor allem über Strukturfördermittel der Europäischen Union.

Die Zeit scheint reif, dass die Stadt neben ihrem Vorzeigebürger Nikolaus Kopernikus einem weiteren ihrer Söhne den Ruhm zugesteht, der ihm gebührt. Immerhin prangt bereits am Geburtshaus Mendelsohns in der Altstadt, in dem Großdrogerist Rossmann seine Waren anbietet, das Konterfei des Architekten.


*** ENDE ***



Weitere Artikel