Ethno-Jazz vom Balkan
Alles wirkt wie in einer Werkstatt. Ein eilig auf die Bühne geworfenes Schlagzeug, eine Sängerin, die barfüßig mit ihrer Thermoskanne voll Thymian-Tee auf die Bühne eilt. Ein beunruhigender Klangteppich, unregelmäßige Rhythmen, kreischende Saiten und ein Gesang, der Balkanlieder in Bruchstücke, in Vokale und Konsonanten zerlegt.
So klingen Elina Duni und ihre Band, der Kritiker nicht nur musikalisches Draufgängertum bescheinigt haben, sondern auch die Kunst, die Musik des europäischen Südostens wie ein „intimes Tagebuch“ zu lesen und dabei ganz nebenbei eine leidenschaftliche Kammerweltmusik zu schaffen. Auf dem im vergangenen Jahr erschienen und zu Recht gefeierten Album „Baresha“ (Schäferin) (2008) liegen das Intime und Existenzielle so nah beieinander wie auch in der Biographie der im albanischen Elbasan geborenen und mit elf Jahren in die Schweiz ausgewanderten Künstlerin.
Elina Duni, die „von der Schweiz adoptierte Albanerin“, bezieht Stellung gegen das Oberflächliche, das Normative und Plakative in der Balkanmusik. Die dunkelblonde Albanerin, die oft in einem schlichten dunklen Kleid auftaucht, schöpft wie selbstverständlich aus dem kreativen Potenzial der Balkanmusik und schafft eine grell-leuchtende, ja fast schon widerspenstige Musik, die so klingt, als ob man sie noch nie gehört hätte. Und das Resultat ist so überzeugend, dass man die 30-Jährige getrost als neuen Star des noch jungen Balkan-Ethno-Jazz feiern darf.
Von Albanien in die Schweiz und zurück
Wer Elina Duni zum ersten Mal trifft, wundert sich über die Leichtigkeit, mit der sie nicht nur auf der Bühne agiert, sondern auch über ihre eigene Vergangenheit spricht. Wie viele andere Albaner hat sie jung ihre Heimat verlassen und ihr Glück in Westeuropa gesucht. Gelandet ist sie in der Schweiz, in Genf und dann in Basel, wo sie Jazz-Gesang und Komposition studierte. Die Künstlerin ist ein prägnantes Beispiel für die Abwanderung intellektueller Köpfe nach dem Sturz des Hoxha-Regimes, aber auch während der bürgerkriegsartigen Zustände 1997.
Zudem ist sie Jazz-Musikerin, ein Beruf, der sie im rauen albanischen Überlebenskampf allenfalls zu einer belächelten Exotin machen würde. Denn eine Jazz-Szene ist in Albanien selbst fast nicht existent. Lediglich der Pianist Gentian Rushi hat es bisher zu einem gewissen Ansehen gebracht. Das alljährlich stattfindende Tirana Jazz Festival ist kommerziell ausgerichtet und deshalb für professionelle Musiker wie Elina Duni die reine Hölle. „Da kann es schon mal vorkommen, dass draußen Techno gespielt wird und man drinnen unter total ungeeigneten Bedingungen singen muss“, erinnert sich die Sängerin. Sie glaubt, dass die albanische Jazz-Szene noch einen weiten Weg gehen muss.
Sie selbst hat ihre Konsequenzen gezogen. Von der Schweiz ging es auf der Theater- oder Konzertbühne bis nach New York – immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen und ungewöhnlichen Klängen. Mit der Gruppe „Extrangers in the noise“ kombinierte sie elektronische Klänge und die Absurditäten des Alltags, schrieb Filmmusik, sang französische Chansons und spielte Theater um schließlich zurück zu den musikalischen Wurzeln ihrer Heimat zu finden.
Balkan-Folklore reloaded
Für Duni, selbst Spross einer regimekritischen Familie, waren diese folkloristischen Wurzeln kontaminiert: „Die Folklore war bei uns kein unbeschriebenes Blatt und wurde oft für politische Zwecke vereinnahmt. Besonders im kommunistischen Albanien unter Enver Hoxha.“ Folklore, das war für viele Intellektuelle im kommunistischen Albanien gleichbedeutend mit Parteimusik. Ein Grund, warum sich Duni lange von ihr fernhielt – bis ihr Pianist Colin Farrell 2004 vorschlug, gerade diese Musik ihrer Heimat zu einem Programm zu verknüpfen. Ein Vorschlag mit weit reichenden Folgen.
Die Tradition „brach aus ihr heraus“, erzählt sie, „sie wurde ihr bewusst“, und plötzlich begann sie in die Dörfer der Adria-Küste zu pilgern, um bei Onkeln und Tanten noch Lieder zu hören, die schon bald vergessen sein würden. Wie zum Zeichen ihrer neuen Traditionsverbundenheit stand sie im März in Fürth mit einem traditionellen polyphonen Chor aus Südalbanien auf der Bühne und mischte sich mit glänzenden Augen und einem traditionellen hohen weißen Filzhut in ihre Klangwelt.
Doch Duni belässt es nicht bei dieser melancholischen Rückschau, sondern geht mit dem musikalischen Erbe des Balkans in die Offensive. In Fürth ließ sie sich spontan auf die zeitgenössische Dichtkunst der albanischen Dichterin Gerda Dalipaj ein und improvisierte zu den gebrochenen Versen eine ebenso zwiespältige Musik, der man wohl am ehesten das Prädikat einer „meditativen Unruhe“ verleihen kann. So leichtfüßig wie Elina Duni über die Bühne tanzt, so leichtfüßig und spielerisch durchstreift sie auch die Grenzgebiete von traditioneller und zeitgenössischer Musik, von Jazz und atmosphärischer Improvisation.
Improvisation als Kunst des Überlebens
Und nach dem Konzert trifft sie die Diaspora-Albaner, denen sie mit ihrer dichten schmerzvollen Musik wieder einmal aus der Seele gesungen hat. Am Balkan schätzt sie ebenso „das Verbindende wie die Widersprüche, aber vor allem die Kunst der Improvisation, die gleichzeitig auch eine Kunst des Überlebens ist“. Nicht umsonst ziert den Titel ihres Albums ein abenteuerliches Gefährt aus Holzplanken, Autoteilen und einem weißen Gaul. Im Beiheft ragt ein verlorenes Minarett zwischen bunt gescheckten kommunistischen Einheitsbauten in den Himmel der albanischen Hauptstadt Tirana. Genauso widersprüchlich und vielfarbig ist ihre Musik, die sie oft mit geschlossenen Augen improvisiert.
Und wenn dann der Beifall aufbraust, blickt sie bescheiden nach unten – ganz so, als ob sie ihn nicht annehmen könnte. Doch fast in gleichem Maße fühlt sie sich ihrer multikulturellen Wahlheimat Schweiz zugehörig. Diesen Widerspruch zwischen Heimat und Wahlheimat scheint Duni in ihrer Musik kreativ aufzulösen. Von der Nostalgie der Tradition zur musikalischen Rebellion ist es für sie nur ein kleiner Schritt. Dabei überschreitet sie auch nationale Grenzen und lässt griechische, albanische und bulgarische Volkslieder als sich ergänzende Mosaiksteine zusammenklingen und widerlegt musikalisch die politischen Falschbilder vom Balkan als Wiege von Nationalismen und Intoleranz.
Die neue Schule des Balkan-Ethno-Jazz
Auf dem steinigen Weg des Balkan-Ethno-Jazz ist die intime Rebellin aus Albanien bei weitem keine Einzelkämpferin. Der Impuls, die Tradition fortzuführen, ist Ausgangspunkt für ein breites Spektrum von Musikern, die sich nicht unbedingt als Avantgardisten oder Experimentalisten verstehen. Der aus Mazedonien stammenden Gruppe "DD Synthesis", die Anfang der 1990er Jahre begann, Frauengesänge und Keyboard-Klänge zu mischen, sind inzwischen zahlreiche andere Musiker gefolgt, die provozieren und aufhorchen lassen: die bulgarische Sängerin Yildiz Ibrahimova, der Blasinstrument-Spezialist Theodosi Spassov oder die Tschechin Iva Bittová.
Elina Dunis Musik hat mittlerweile nicht nur für Diaspora-Albaner eine besondere Relevanz. Auf ihrer kreativen Suche nach der Seele der Balkanmusik scheint sie fündig geworden zu sein: „Es ist die Mischung aus osmanischem Erbe, gepaart mit viel Schmerz, Ironie und schwarzem Humor“. Und diese Essenz verpackt sie in zeitgemäßen, immer aufregenden Jazz, der einmal mehr beweist, dass man auch in Zeiten der musikalischen Globalisierung auf neuen Wegen zu den Wurzeln der Tradition zurückkehren kann.