Ein Leben im Abseits
Kosice (n-ost). „Wissen Sie, eigentlich habe ich nichts gegen die Zigeuner. Aber letztes Jahr hat mich spät abends eine Gruppe von denen verfolgt. Seitdem gehe ich ihnen aus dem Weg“, erzählt Petr, der junge, schüchterne Portier in einem Hotel in Sirava, einem Kurort in der Ostslowakei. Unabsichtlich hat er seine Stimme gesenkt. Jetzt hebt er sie wieder an: "Aber die hier, die sind echt nett." Und sein Gesicht unterstreicht das eben Gesagte.
Mit „die hier“ meint er die Gruppe junger Leute von „Amare Roma“ („Wir sind Roma“), Studenten und Akademiker, die sich in seinem Hotel zu einem zweitägigen Seminar versammelt haben. Ihre NGO will versuchen, dieses Bild gerade zu rücken, das die „Weißen“", also die Slowaken, von ihren Mitbürgern mit der dunkleren Haut haben. Ein Bild, das weniger von offenem Hass oder Abgrund tiefer Abneigung geprägt ist, als vielmehr von dem Wunsch, mit „denen“" nichts zu tun haben zu müssen. „Ihr könnt sie gerne haben“", ist ein oft gehörter Satz an Ausländer, die sich neugierig nach dem Zusammenleben von Roma und Slowaken erkundigen. In der Ostslowakei hat sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft heraus gebildet, die wie eine nicht-offizielle Apartheid funktioniert. Kontakt und Freundschaften über die ethnische Barriere hinweg sind selten wie eine Blaue Mauritius. „Sie sind eben anders“", erklärt ein Student im Internet-Café lapidar.
“Wir haben hier ein soziales Problem und kein ethnisches.“ Mit diesem Kernsatz wehrt sich Kristína Magdolenová, Leiterin der Roma Press Agency in Kosice und selbst Slowakin, gegen die Rassentrennung. Die jungen Menschen von „Amare Roma“" erhofft sie sich als Botschafter, die den Slowaken, dem Rest der Welt zeigen sollen: ,Seht her, es gibt auch andere Roma!
Eine von ihnen ist Maria Hornaková. Bei ihrer Ausbildung zur Pädagogin in Presov war sie die einzige Roma. Vor einem Jahr hat sie - mit 27 Jahren - ein Stipendium für Soziologie an der Universität in Budapest bekommen. Und in einem halben Jahr leidlich Englisch gelernt. „Das Stipendium ist speziell für Roma ausgeschrieben, aber das bedeutet nicht, dass ich es nicht verdient hätte“, sagt sie selbstbewusst. Sie kommt eben aus einer einfachen Familie in einem kleinen Dorf in der Ostslowakei. Wie viele Slowaken auch. „Eine Frage der sozialen Schicht“", würde Kristina Magdolenova wiederholen.
Ebenso richtig ist, dass Marias Familie unter den Roma ihres Heimatortes Hlinne etwas Besonderes ist. In dem kleinen Ort, von dessen knapp 2000 Einwohnern mittlerweile jeder Dritte Roma ist, leben ihr Eltern zwar wie alle anderen Roma auch in der Zigeunersiedlung, die sich am oberen Ende des Dorfes befindet. Das war schon immer so. Doch Marias Vater hat bis heute eine feste Arbeit, die Eltern konnten von dem Verdienten ein solides Haus mit Heizung und Wasseranschluss bauen. Und es gibt im Wohnzimmer keinen Fernseher, dafür aber ein großes Wandregal mit Büchern. Kein Unterschied zu einem slowakischen Wohnzimmer, kein Hauch von „Zigeuner-Exotik“.
Maria hat von Anfang an eine Förderung erfahren, die vielen anderen Kindern in der Siedlung nicht zukommt. Slowakisch ist für sie wie ihre Muttersprache, obwohl sie mit ihren Eltern bis heute Romanes spricht. Viele Kinder aus der Siedlung lernen Slowakisch so richtig erst in der Schule. Und haben Probleme beim Lesen und Schreiben. So gibt es zwei Klassen in der Grundschule in Hlinne: die „normale“" A-Klasse und dann die B-Klasse, die bereits im zweiten Schuljahr weit hinterher hinkt. „Meine Tochter ist in der A-Klasse und ich bin heilfroh“, sagt Adriana, eine Cousine von Maria. Ihre Tochter ist eines von zwei Roma-Kindern in dieser Klasse, während die 18 Kinder der B-Klasse alle Roma sind.
Damit beginnt oftmals der fatale Weg in die Sackgasse, der für viele junge Roma bedeutet, dass sie nach einem mit Mühen geschafften Schulabschluss vergeblich nach einer Ausbildungsstelle oder Arbeit suchen. Eine nicht ungewöhnliche Situation in der Struktur schwachen Ostslowakei, wo schon die offizielle Arbeitslosenrate bei 20 Prozent liegt. Nur eben, dass es bei den Roma überdurchschnittlich viele trifft und ein großer Teil in Ghettos mit einer faktischen Arbeitslosenquote von 100 Prozent wohnt.
So sind seit dem Ende des Kommunismus die sozialen Brennpunkte entstanden. Wie zum Beispiel Lunik IX. Lunik IX ist eine Plattenbausiedlung wie es sie zuhauf gibt in Kosice, der größten sTadt in der Ostslowakei. Sie war für 2500 Bewohner ausgelegt, doch heute leben dort etwa 5000 Roma. Kein einziger Weißer verirrt sich in die abgelegene Siedlung, die einen Hauch von Indien vermittelt. Hunderte von Kindern auf der Straße, auf der nur vereinzelt Autos geparkt sind. Die Stiegenhäuser nackte Steinhöhlen und hinter den Häusern stapelt sich der Müll, den die Bewohner einfach zum Balkon heraus werfen. Wasser- und Stromversorgung wurden mehrfach abgestellt, weil die Bewohner ihre Rechnungen nicht bezahlen und in der Grundschule stellt sich die Frage nach A- oder B-Klasse schon gar nicht mehr.
Hier wird der Grundstein gelegt zu einem Parallel-Leben - hier die Roma, dort wir, die Slowaken. Und Abneigung und Vorurteile verstärken sich in dem Maße, wie es nicht gelingt, diese ethnische Trennung zu durchbrechen. So waren die meisten Slowaken mit ihrer Regierung zufrieden, als diese im vergangenen Februar Militär in Trebisov aufmarschieren ließ, um weitere Plünderungen von Geschäften in der 20.000 Einwohner-Stadt zu verhindern. Die Proteste der Roma hatten sich entzündet, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Höhe der Sozialhilfe von der Bereitschaft zu „aktivierender Arbeit“" abhängig zu machen und sie für Jugendliche ganz zu streichen.
Die Bewohner des Roma-Ghettos am südlichen Ende der Stadt erzählen von Schlägen und Hausdurchsuchungen durch die Polizisten und Spezialtruppen. „Etwa 4000 Menschen, davon 2000 Kinder, leben hier“, sagt Zuzana Zubkova. Sie leitet das neu eingerichtete Gemeinschaftszentrum, das sich im Erdgeschoss eines der beiden Neubauten der Siedlung befindet. „Die beiden Häuser hat die slowakische Regierung letztes Jahr errichten lassen“, erzählt Zuzana Zubkova. Bekommen haben die Sozialwohnungen die „ordentlichen“ Bewohner der Siedlung. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die im letzten Jahr fertig gestellten Wohnblocks bieten Platz für 30 Familien in einfachsten Räumlichkeiten. Statt Heizungen haben die Bewohner kleine Holzöfen an den Kamin angeschlossen. Und doch ein himmelweiter Unterschied zu den Bedingungen, unter denen die Ärmsten der Armen im hintersten Teil der Siedlung hausen. In Bretterverschlägen oder so genannten ,Unibunka\', Ein-Raum-Containern, die von einer der bankrott gegangenen Fabriken in Trebisov stammen, verwahrloste dreistöckige Plattenbauten. Keine Straßen, keine Müllabfuhr, keine Beleuchtung, manchmal nicht einmal Wasser.
Für Zusana Zubkova ungekannte Verhältnisse. Sie ist selbst Roma, doch „ich bin, wie etwa 2.000 Roma in Trebisov, außerhalb des Ghettos in einer weißen Umgebung aufgewachsen. Bereits meine Eltern sprachen kein Romanes mehr.“ Nun bemüht sie sich, mit ihrem von westlichen Organisationen finanzierten Zentrum den in der Siedlung lebenden Roma bei der Integration in die slowakische Gesellschaft zu helfen. Ein schier aussichtsloses Unterfangen angesichts der großen Zahl an Menschen und der weiterhin geringen Mittel, die zur Verfügung stehen. Und so steht zu befürchten, dass die Unruhen vom vergangenen Februar nicht die letzten waren.
*** Ende ***
Roland Stork