Polen

Auf den Spuren des 20. Juli

Auf den Spuren des 20. Juli

Die Wolfschanze in Polen hat sich als Touristenattraktion etabliert

Von Benjamin Haerdle (bhaerdle@gmx.de, Tel: +48 694 280 735)

Olsztyn (n-ost). Am 20. Juli 1944 misslang im ostpreußischen Führerhauptquartier „Wolfschanze“ eines der spektakulärsten Attentate auf NS-Führer Adolf Hitler. Die Widerstandsgruppe um Oberst Stauffenberg bezahlte ihre Tat mit ihrem Leben. 60 Jahre danach hat sich die Kommandozentrale mit seinen überdimensionalen Bunkern zu einer Touristenattraktion in nordöstlichen Teil Polens gemausert.

Ganz Masuren lamentiert über einen bislang völlig verregneten Sommer. Dem Touristenzuspruch des Führerhauptquartiers Wolfschanze tut dies keinen Abbruch. Gut gefüllt ist der Parkplatz an diesem etwas zu kühlen Morgen im Juli. Auto und Buskennzeichen repräsentieren viele Regionen Deutschlands, zudem viele polnische Urlauber. Es ist Ferienzeit in Polen.
Pro Jahr besuchen rund 200.000 Personen die seit 1959 öffentlich zugängliche Wolfschanze. Jeder Dritte kommt nach Angaben der privaten polnischen Betreiberfirma „Wilcze Gniazdo“ aus Deutschland. Doch die Zeiten waren schon mal besser, wie Vorstandschef Jan Zaluska meint: „Deutsche Touristen gibt es immer weniger“. Viele so genannte Heimwehtouristen kommen nur ein Mal zurück in ihre Vergangenheit, dann nie wieder. Dabei ist der Weg zu Hitlers Versteck in den dichten masurischen Wäldern heute ziemlich einfach. Von Ketrzyn (Rastenburg), der rund 10 Kilometer entfernt liegenden 30.000-Einwohner-Stadt, weisen große Hinweisschilder mit einem Wolfskopf zum „Kwatera Hitlera, Wilczy Szaniec“ bei Gierloz (Görlitz).
Von dort aus steuerte Hitler ab 1941 den Feldzug gegen die Sowjetunion, das „Unternehmen Barbarossa“. Im September des Vorjahres hatten die Bauarbeiten im Rastenburger Stadtwald begonnen. Zeitweise an die 4600 Arbeiter waren beschäftigt. Bis Spätherbst 1944 wurde ständig gebaut und renoviert. Insgesamt wurden in den vier Jahren über 200 Objekte aus dem Boden gestampft. Neben den großen Bunkern für Hitler oder Göring und unterschiedlichsten Militärgebäuden sowie Mannschaftsunterkünften, entstanden auch ein Bahnhof und in sechs Kilometern Entfernung ein Flugplatz. Eine kleine Stadt, in der zum Beispiel im Juli 1944 2100 Menschen lebten und arbeiteten. 800 Tage lang verfolgte Hitler von Ostpreußen aus das Kriegsgeschehen. November 1944 kehrte er nach Berlin zurück.
Zwei Monate später machten Pioniere der Wehrmacht dem Führerhauptquartier ein Ende. Als die Sowjetarmee sich im Winter 1945 Ostpreußen und damit der Reichsgrenze rasant näherte, jagten sie in der Nacht vom 23. auf den 24 Januar die gigantischen Bunkeranlagen in die Luft. Bis zu zehn Tonnen Dynamit waren für manche der Ungetüme nötig. Die bis zu acht Meter dicken Decken einiger Bunker wurden weggesprengt oder fielen zusammen, die dicken Bunkerwände klappten nach außen. Die Detonationen waren so gewaltig, dass in den umliegenden Dörfern angeblich Fensterscheiben zu Bruch gingen und sich Dachziegel lösten.
Viel Zeit ist seitdem vergangen. Mittlerweile hat sich die Natur ihr Territorium zurückerobert. Dicke tiefgrüne Moospolster überziehen die gesprengten Bunkerwände, das Unkraut wuchert kräftig zwischen den Betonritzen und da, wo sich Hitler früher mit seinen Schergen traf, wachsen heute kleine Bäume.
Die nationalsozialistischen Ruinen üben heutzutage auf die Jugendlichen eine besondere Anziehung aus. Obwohl auf Tafeln in vier verschiedenen Sprachen vor dem Besteigen gewarnt wird, gehört dieser Abenteuerkick inoffiziell mit ins Ausflugsprogramm. Vor allem im Sommer, wenn viele polnische Schulklassen die Wolfschanze besuchen, steigt der jugendliche Kletterdrang.
Die gewaltigen Ausmaße der militärischen Kolosse können Touristen heute auf drei verschiedenen Rundstrecken bestaunen. 29 Bauten liegen auf den Wegen: Bunker von Hitler, Göring oder Bormann, aber auch Poststelle, Proviantmagazin, Kasino oder Kino. „Die Älteren kommen vor allem wegen der Geschichte hierher, die Jüngeren mehr als Freizeit- und Abenteuererlebnis“, hat Stanislaw Sieminski beobachtet. Seit 39 Jahren macht der Reiseleiter Führungen durch die Wolfschanze. Er steht auf den Trümmerresten der Lagebaracke, in der Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli um 12.42 Uhr der Schreckensherrschaft Hitlers ein Ende bereiten wollte und referiert einer Seniorenreisegruppe aus dem Kreis Minden den Attentatsverlauf. Vier enge Mitarbeiter Hitlers starben bei der Explosion, der Führer selbst erlitt nur leichte Verletzungen. Stauffenberg und viele Mitwisser wurden zum Tod verurteilt. Daran erinnert die Gedenktafel in deutscher und polnischer Sprache, vor der sich die deutsche Touristengruppe versammelt hat. Etwa zehn Meter weiter wird am 22. Juli in einer Feierstunde mit ökumenischem Gottesdienst ein weiterer Gedenkstein anlässlich des 60. Jahrestags des Anschlags eingeweiht. Auch die drei Söhne von Stauffenbergs sollen anwesend sein.
Trotzdem glaubt Fremdenführer Sieminski nicht, dass wegen des Jubiläums mehr Touristen den Weg in die masurische Abgeschiedenheit finden. Auch für die 19 Senioren ist die Wolfschanze nur ein kleiner Bestandteil der Pauschaltour nach Polen: Posen, Danzig und Masuren in fünf Tagen, da bleibt nicht viel Zeit für Details der deutschen Geschichte. Zudem erweist sich dann der Besuch vor Ort doch für manchen enttäuschend. „Ich hätte mir das ein bisschen beeindruckender vorgestellt“, murmelt einer der Reisenden.
Dabei geben sich die polnischen Gastgeber für einen gelungenen Aufenthalt alle Mühe. An Kiosken wird von Gasmasken über Wehrmachts-Telefone bis hin zu Plastiktierchen und Kaffeetassen alles verkauft, was offenbar den touristischen Geschmack trifft. Unzählige Bücher über die Wolfschanze, Ostpreußen und Masuren finden auf den Ladentischen ein Plätzchen. Für das leibliche Wohl sorgen Bars und Restaurant. Wer gerne übernachten möchte, findet Unterschlupf im Hotel auf dem Gelände. Zudem sollen nächstes Jahr ein Museum und ein Kino noch mehr Touristen anlocken. Ansonsten soll die gesamte Anlage aber so authentisch wie möglich erhalten werden, versichert der Betreiber Zaluska: „Das hier ist echte Geschichte“.

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