Belarus

Schein-Wahlen in Belarus

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Wenn Sie nur 30 Sekunden Zeit haben, um die belarussischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag zu verstehen, dann finden Sie hier alles Wissenswerte:

1) Die belarussische Staatsführung hat es geschafft, die Parlamentswahlen in einen automatisierten, vorhersehbaren und zutiefst langweiligen Prozess umzuwandeln.

2) Die öffentliche Sphäre, in der eine Opposition ihren Aufgaben nachkommen könnte, ist mittlerweile ein Vakuum.

3) Trotz einer drastischen Wirtschaftskrise werden die Belarussen nicht protestieren. Sollten sie es doch tun, sind sie keine Belarussen.

4) Die EU sieht über Menschenrechtsverletzungen und die Absurdität des bevorstehenden Wahlprozesses hinweg, um die Staatsführung im sogenannten Dialog zu halten und wird so auch weiterhin verfahren.

Die Parlamentswahlen in Belarus werden seit 2001 manipuliert. Damals gab es allerdings zumindest noch einige tatsächliche Politiker. Doch schon ab 2004 ist kein unabhängiger Kandidat mehr ins Parlament eingezogen. Seitdem ist es völlig steril – es besteht aus Chefs von Krankenhäusern, Fabriken und Schulen, die völlig abhängig von der Regierung sind.

In den Straßen von Minsk kommt keine Wahlkampfstimmung auf. Die zukünftigen Gewinner betreiben keinen Wahlkampf, weil ihr Wiedereinzug garantiert ist. Die Opposition hält sich ebenfalls zurück, weil sie nur zur Wahl steht, um die Illusion einer Vielfalt an Kandidaten vorzutäuschen.


Die Illusion von Vielfalt

Gerüchte besagen, dass die Regierung im Sinne des Dialoges mit der EU einige Oppositionelle ins Parlament lassen wird. Die optimistischen Überbleibsel der seit zwanzig Jahren unterdrückten Opposition nahmen ihren Mut und die Reste ihrer Ressourcen zusammen und versuchten Wahlkampf zu betreiben. Aber ihre Anstrengungen wurden nicht belohnt: Die Mehrheit ihrer prominenten Vertreter taucht nicht einmal im Kandidatenregister auf.

Die Wenigen, die in Belarus wirklich etwas ändern könnten, dürfen überhaupt nicht an den Wahlen teilnehmen – genau wegen ihrer Überzeugung, etwas ändern zu wollen.


Keiner ist bereit, für faire Wahlen zu sterben wie auf dem Maidan

Manche Experten bleiben dennoch hoffnungsvoll. Vielleicht werden zwei Kandidaten der Opposition gewählt, um der internationalen Öffentlichkeit zu zeigen, dass es doch politische Freiheit gibt in Belarus – und um ihre einsamen Stimmen künftig zu missachten.

Der Dialog mit der EU ist kein Anreiz für das Regime in Minsk, sich zu öffnen. Ein Beispiel dafür sind die Präsidentschaftswahlen 2010. Damals wurden hunderte friedliche Demonstranten und alle Oppositionskandidaten verhaftet.

Aber nicht nur die harten Repressionen bringen die Belarussen dazu, lieber zu Hause zu bleiben statt zu protestieren. Auch wegen der russischen Invasion der Ukraine und der Kriegspropaganda in russischen Fernsehkanälen, die in Belarus den kompletten Medienmarkt dominieren, ist die Proteststimmung in der Bevölkerung auf ein Minimum gesunken. Die Menschen sind einfach nicht bereit, für faire Wahlen zu sterben. Und es ist klar, dass die Regierung entschlossen ist, an der Macht zu bleiben.

Außerdem gibt es zu viele russische Militärbasen im Land und an seiner Ostgrenze. Selbst die Opposition will den Russen keinen Vorwand geben, nach dem Muster Ukraine einzumarschieren und „die belarussische Bevölkerung vor den Nationalisten zu schützen“. Anders als die Ukraine würde Belarus auch nie dieselben internationalen Bekundungen erhalten, wenn tatsächlich kleine grüne Männer im Land erscheinen würden wie auf der Krim.

Echter Wandel kann nur gelingen, wenn sich die Werte innerhalb der Gesellschaft ändern. Das Beste, was die EU deshalb tun kann, ist den Mensch-zu-Mensch-Kontakt zu intensivieren, Kulturprogramme aufzulegen und die unabhängigen Medien und Organisationen in Belarus zu unterstützen.

Derzeit heißt Dialog vor allem, im Gespräch mit den belarussischen Autoritäten zu bleiben. Aber behaltet bitte im Kopf, dass dies immer noch das Regime ist, das die Opposition und unabhängige Medien gewaltsam zum Schweigen zu bringt und die Todesstrafe anwendet mit einem korrupten und staatsabhängigen Justizwesen. Nicht zuletzt baut Belarus derzeit ein Atomkraftwerk direkt an der EU-Grenze – und vertuscht bereits jetzt Zwischenfälle in der Bauphase.

Aus dem Englischen von Ercia Zingher, n-ost

Zur Person:

Die belarussische Journalistin Katerina Barushka hat einen Abschluss der Lancaster Universität. Sie hat Dokumentarfilme für Al Jazeera English and Belsat TV gedreht und schreibt für den Guardian, New Eastern Europe and Transitions Online. Sie beschäftigt sich mit Themen Menschen und Macht, Menschrechte und Genderfragen in Osteuropa.

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