Polen in England: Auf der Suche nach Plan B
„Wir sind verunsichert, niemand weiß, wie es jetzt weitergeht“, sagt Paulina. Die 38-jährige Polin arbeitet seit zwölf Jahren als Fondsmanagerin in London. Bei ihren Landsleuten mache sich Panik breit, sagt die Mutter von zwei Kindern. Niemand wisse, wie es nach dem Brexit weitergehe.
Paulina gehört zu der Million Polen, die in Großbritannien leben – und für die ein Austritt der Briten aus der EU besonders hart würde. Zum einen, weil ihr Bleiberecht auf der Insel jetzt ungewiss ist. Zum anderen, weil ihr klar wird, dass mehr als die Hälfte der Briten sie hier gar nicht haben will.
Gerade die Missgunst gegenüber den vielen Polen und anderen Migranten aus den östlichen EU-Ländern waren für viele Briten der Grund, für den Brexit zu stimmen. Gerade die Osteuropäer hatte die antieuropäische Partei UKIP ins Zentrum ihrer Kampagne gestellt.
„Polen als Ungeziefer“
So griffen Anhänger der Partei gleich nach der Verkündigung des Ergebnisses ein Kulturzentrum in London an. „Fuck you!“ schmierten sie an die Wände des Gebäudes. Die Polizei berichtete von 330 Übergriffen mit rassistischem Hintergrund im gesamten Land. Es wurden Flugblätter in englischer und polnischer Sprache verteilt, auf denen Losungen voller Hass stand wie „Abschaum, geht nach Hause!“. Oder sie beleidigten die Polen „als Ungeziefer“.
„Hier herrscht ein Krieg“, sagt Paulina. Bekannte hätten ihr geraten, jetzt bloß nicht zuzugeben, woher sie komme. Dass sich die Briten, die für viele Polen immer noch die Verbündeten aus dem Zweiten Weltkrieg sind, auf einmal als Rassisten zeigen, sorgt auch in Polen selbst Verwirrung. „Unsere Politiker und unsere Medien hatten immer so eine komische Neigung, die polnisch-britischen Beziehungen in schönen Farben darzustellen“, ärgert sich Paulina.
Für sie ist auch klar, wer dafür verantwortlich ist: nämlich Nigel Farage, der Vorsitzende der UKIP, der mittlerweile schon das Handtuch geschmissen hat. „Ein ganz offener Rassist!“ giftet sie und weist darauf hin, dass dies auf der Insel schon lange bekannt sei.
Nicht mit dem Brexit gerechnet
„Farage hat eine Welle der Gewalt gegen Polen losgetreten”, sagte auch Jan Zylinski bereits vor knapp einem Jahr im Gespräch mit dem polnischen Radiosender „Radiownet“. Der polnische Geschäftsmann hat adlige Wurzeln, ist nach dem Zweiten Weltkrieg nach Großbritannien emigriert und hat sich dort ein Vermögen aufgebaut. „In Nordirland hat man eine Polin auf der Straße geschlagen, weil sie mit ihrem Kind Polnisch gesprochen hat“, fügt der Zylinski zu. Seinen Ausführungen zufolge passierte das auch in London und letztlich auch in ganz England.
„Eigentlich hatte ich nicht mit dem Brexit gerechnet“, bemüht sich hingegen Agnieszka, die in London als Therapeutin für Kinder mit Behinderung arbeitet. Wie die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ schreibt, ist sie vor zwölf Jahren gekommen - gleich nachdem die Briten den Arbeitsmarkt öffneten. Hier hat sie ihr Psychologiestudium beendet. „Bisher war London mein Zuhause. Doch jetzt frage ich mich auf einmal, wer zu der Hälfte gehört, die mich nicht will.“
Steigende Aggression
„Jetzt dürften bis zu 400.000 Polen ihre Koffer packen und aus wirtschaftlichen Gründen wieder nach Hause fahren“, schätzt der nationalkonservative Europaabgeordnete Ryszard Czarnecki. Trotzdem halten sich die polnische Presse und die polnischen Politiker mit einer Kritik an den rassistischen Ausfällen zurück. Für sie ist die Schuldige an dem Brexit klar – nämlich Angela Merkel: „Sie hat mit ihrer offenen Flüchtlingspolitik alle anderen Länder verschreckt“, mahnt beispielsweise die Boulevardzeitung „Super Express“. „In erster Linie ist der Brexit ein Ergebnis der anhaltenden Krisen in der EU“, schiebt die polnische Regierungschefin Beata Szydlo Brüssel die Schuld in die Schuhe.
„Die Aggression gegenüber den Polen kann sogar noch größer werden“, glaubt hingegen die Wissenschaftlerin Harmit Athwal vom britischen Think Tank „Institute of Race Relations“ gegenüber dem „Super Express“. „Denn die UKIP dürfte an Einfluss gewinnen“, glaubt die Expertin.
Paulina und Agnieszka wissen hingegen noch nicht, ob sie ihre Koffer packen sollen. Einer aktuellen Umfrage des Instituts IBRiS stehen sie mit ihrer Unentschlossenheit nicht allein. Knapp 80 Prozent der Polen sieht weiterhin ihre Zukunft auf Insel – eine Rückkehr nach Polen ist für sie nur eine Art „Plan B“.