Europäische Union

Nein zum Brexit, nein zu Brüssel

Seit Jahren schon schimpfen sie auf die Europäische Union. Brüssel sei das „neue Moskau“, tönen sie, die „EU-Reichsbürokraten“ regierten gegen den Willen der europäischen Völker. So oder ähnlich klingt es, wenn führende mittelosteuropäische Politiker über die EU sprechen: der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, sein slowakischer Amtskollege Robert Fico, der tschechische Staatspräsident Milos Zeman oder Jaroslaw Kaczynski, der Chef der polnischen Regierungspartei PiS.

Doch vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien appellierten sie inständig an die Briten, in der EU zu bleiben. Das Ergebnis des Votums bedauern sie nun zutiefst. Viktor Orban, der Chef-Euroskeptiker und -Demagoge in Mittelosteuropa, hatte zuletzt sogar eine ganzseitige persönliche Anzeige in der britischen Tageszeitung Daily Mail schalten lassen: „Sie entscheiden, aber ich möchte Sie wissen lassen, dass Ungarn stolz ist, neben Ihnen als Mitglied der Europäischen Union zu stehen.“


Abhängig von den EU-Milliarden

Es ist kein Paradox: Die mittelosteuropäischen Führungspolitiker meinen ihr Bedauern ernst, während sie gleichzeitig ihre Kritik an der EU aufrechterhalten. Nachdem das Ergebnis der Brexit-Abstimmung amtlich war, machten der ungarische Regierungschef Viktor Orban, sein slowakischer Amtskollege Robert Fico und Tschechiens Staatspräsident Milos Zeman gleichermaßen die EU-Flüchtlingspolitik für das Brexit-Votum verantwortlich: Die Mehrheit der Briten wie auch der Europäer sei unzufrieden mit der Flüchtlingspolitik, so Orban, Fico und Zeman, diese habe den Auschlag für den Wunsch der Briten nach einem EU-Austritt gegeben. Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda sprach seinerseits davon, dass die meisten EU-Bürger nicht glaubten, die EU arbeite wirklich demokratisch.

Dass die Mittelosteuropäer bei allem Euroskeptizismus fest hinter ihrer EU-Mitgliedschaft stehen, hat handfeste Gründe. Sie sind Nettoempfänger von EU-Fördermitteln und auf dieses Geld dringend angewiesen, darunter vor allem Ungarn, dass ohne EU-Milliarden wirtschaftlich längst abgestürzt wäre.

Zugleich sieht eine klare Mehrheit aller mittelosteuropäischen Bevölkerungen die EU-Mitgliedschaft ihrer Länder positiv – Referenden würden derzeit in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn deutlich für einen Verbleib in der EU ausgehen. Trotz der Anti-EU-Rhetorik der politischen Führungen, ist die europäische Idee nirgendwo sonst bei einer Mehrheit so populär wie im Osten Europas – zu lebendig ist vielen die Erinnerung an die Abschottung unter der kommunistischen Diktatur.


Deutsche Dominanz

Zudem hätte Großbritanniens EU-Austritt direkte negative Folgen für Mittelosteuropa: Hunderttausende Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn arbeiten auf der Insel, ihr Status und damit ihre Existenz ist nun gefährdet. Für ihre Heimatländer sind sie außerdem wegen der Finanztransfers ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

„Orban, Kaczynski, Zeman und Fico wie auch der kroatischen und slowenischen Rechten kommt es gelegener, wenn die britischen Regierenden Europa aktiv von innen zersetzen statt `uns Mittelosteuropäer´ allein zu lassen mit der deutschen Dominanz“, schreibt der linke ungarische Philosoph G.M. Tamas in einem Essay.

Die Mittelosteuropäer sehen das Brexit-Votum deshalb nun als Warnsignal – nicht für mehr Einheit in der EU, sondern für eine Neugestaltung der Union als „Europa der Nationen“, in dem die EU im Wesentlichen Geld verteilt, Binnenmarktfragen regelt, die politischen Angelegenheiten jedoch weitgehend den einzelnen Mitgliedsländern überlassen bleiben. So fordert beispielsweise Jaroslaw Kaczynski einen neuen europäischen Vertrag. Viktor Orban sagte am Wochenende in einer Rede ebenfalls, Europa müsse neugestaltet werden. Ähnlich äußerten sich auch der rumänische Regierungschef Dacian Ciolos und sein bulgarischer Amtskollege Bojko Borissow, die nicht zu den einschlägigen osteuropäischen Euroskeptikern zählen.

Die Befürchtung, dass osteuropäische Regierungspolitiker von rechtsextremen Parteien in ihren Ländern unter Druck gesetzt werden, scheint aktuell eher gering. Zwar forderten die slowakische neonazistische „Volkspartei“ und die bulgarische ultranationalistische, prorussische Partei „Ataka“ ihrerseits EU-Austrittsreferenden in ihren Ländern. Doch sie sind derzeit isoliert. Die ungarische Partei „Jobbik“, eine der erfolgreichsten europäischen Rechtsaußen-Parteien, hat den EU-Austritt angesichts der Stimmung in der Bevölkerung gerade aus dem Programm genommen: Sie verlangt nur noch ein Referendum über die Änderung der EU-Grundlagenverträge.

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Quellen:

- laufende Berichterstattung mittelosteuropäischer Medien zum Brexit und zur Haltung

- Essay von G.M.Tamas zum Brexit: http://hvg.hu/vilag/20160623_TGM_Anglia_Europa_Brexit

- Webseiten mittelosteuropäischer Regierungs- und Rechtsaußenparteien mit Stellungnahmen zum Brexit

Bildnachweis:

Viktor Orban: David Plas, CC BY-SA 3.0

Jaroslaw Kaczynski: Piotr Drabik, CC BY-SA 3.0


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