Warum?
Bajrami: Weil sich Kosovaren bislang wegen der Visarestriktionen nicht in Deutschland umschauen können, können sie auch ihre Chancen dort nicht realistisch einschätzen. Viele haben alles verkauft, um Schmuggler zu bezahlen. In der EU angekommen haben sie erst gemerkt, dass es ohne Arbeitsvisum unmöglich ist, einen Job und eine Wohnung zu finden. Bei der Rückkehr standen sie dann vor dem Nichts.
Im Kosovo lebt fast jeder zweite in absoluter Armut und steht auch vor dem Nichts. Zwei von drei Jugendlichen sind arbeitslos. Wie wollen Sie diese Menschen im Land halten?
Bajrami: Wir arbeiten daran, Prosperität zu schaffen und das Geschäftsklima zu verbessern. 2015 konnten wir die ausländischen Direktinvestitionen im Vergleich zu 2014 verdoppeln. Wir müssen in Bildung investieren und ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland und Österreich einführen. Das führt zu guten Resultaten. Wir müssen Anreize schaffen, damit die Menschen im Land bleiben. Wir haben eine gute Fiskalpolitik und niedrige Schulden. Unsere Regierung hat Bürokratie abgebaut und es Investoren erleichtert, in das Kosovo zu kommen. Auch die Rechtssicherheit hat sich verbessert.
Wie sollen die vielen jungen Kosovaren in den Arbeitsmarkt integriert werden?
Bajrami: Wir haben eine sehr junge Bevölkerung, die multilingual ist. Vor allem im IT-Bereich sind viele gut ausgebildet. So konnten wir vom Outsourcing ausländischer Unternehmen profitieren, die hier zum Beispiel Call-Center aufgebaut haben. Unser Dienstleistungssektor wächst. Es ist der einzige Bereich, in dem Kosovo eine klar positive Handelsbilanz aufweist.
Welche Länder investieren am stärksten im Kosovo?
Bajrami: Österreich, Deutschland und die Schweiz – also die Länder, in denen es viele Kosovaren gibt. Die Diaspora ist unverzichtbar.
Wie versuchen Sie Investoren aus der Diaspora zu gewinnen? Bislang investieren die meisten in schöne Häuser in ihrem Heimatort als in Unternehmen.
Bajrami: Das ist richtig, und die Häuser stehen das ganze Jahr leer, außer in den zwei Wochen auf Heimatbesuch. Das Denken der Menschen muss sich ändern. Wir wollen ein Umfeld fördern, indem diese Menschen Arbeitsplätze schaffen. Statt den Konsum ihrer Verwandten zu bezahlen, soll die Diaspora Jobs für sie schaffen. Das ist eine Win-Win Situation für beide Seiten. Es gibt 22 internationale Geschäftsvereinigungen der kosovarischen Diaspora auf der Welt. In einer Studie wurden 250 ausländische Unternehmer im Kosovo gefragt, warum sie in das Land investiert haben. Fast alle hatten Kontakte zu diesen Diaspora-Geschäftsvereinigungen.
Für welche Branchen ist das Kosovo besonders interessant?
Bajrami: Wir haben großes Potenzial im Tourismus. Bergbau ist eine wichtige Branche. Wir haben Minen, die seit 25 Jahren geschlossen sind, ohne dass die natürlichen Ressourcen abgebaut werden. Wir als Staat haben nicht die Mittel, sie zu reaktivieren. Hier brauchen wir Investoren, die Expertise und Technologie mitbringen. Weitere wichtige Branchen sind Textil- und Lebensmittelverarbeitung. Das Kosovo importiert einen großen Teil seiner Lebensmittel. Das wollen wir ändern.
Die Opposition hat in den vergangenen Monaten mehrere Parlamentssitzungen durch Tränengasangriffe verhindert. Das hat viele an der politischen Stabilität im Land zweifeln lassen. Haben Sie sich eine Gasmaske gekauft?
Bajrami: Nein, ich habe nie eine benutzt, obwohl ich bei den Sitzungen anwesend war. Solche Dinge passieren in Demokratien. Es ist an der Opposition zu entscheiden, wie sie Politik macht. Was Investitionen und politische Stabilität angeht, geht es bei uns aber klar bergauf.
Zur Person:
Hykmete Bajrami ist seit anderthalb Jahren Ministerin für Handel und Industrie im Kosovo.
Davor arbeitete Sie als Professorin für Marketing an der Universität in Prishtina, wo sie auch promovierte.
Sie ist Mitglied der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK), einer konservativen Mitte-Rechts Partei, der auch Premierminister Isa Mustafa angehört.
Quellen:
Das Gespräch fand in den Räumen der Wirtschaftskammer Österreich bei der Konferenz: „Kosovo – ein Markt mit vielen Möglichkeiten“ statt.
Foto von Hykmete Bajrami: Pressestelle des Handelsministeriums, Kosovo