Rumänien

Gesundheitsskandal erschüttert Rumänien

An einem Sonntagnachmittag Ende Mai fuhr Dan Condrea mit 150 Stundenkilometern frontal gegen einen Baum. Die Polizei konnte keine Bremsspuren feststellen: Der erfolgreiche Geschäftsmann beging wahrscheinlich Selbstmord.

Condrea gilt als Hauptverdächtiger in einer selbst für rumänische Verhältnisse fast unglaublichen Betrugsaffäre, die womöglich Tausende Menschen das Leben gekostet hat: Seine Firma „Hexi Pharma“ importierte seit mehr als zehn Jahren Desinfektionsmittel aus Deutschland und machte zehnmal mehr Gewinn, weil er sie verdünnte.

Um die Millionenprofite vor den Bukarester Steuerbehörden zu verstecken, ließ der Unternehmer die Geschäfte über eine Briefkastenfirma auf Zypern laufen. Und damit die gewaltigen Preisunterschiede bei den öffentlichen Ausschreibungen nicht auffielen, verdünnten Condreas Chemiker offenbar die Wirkstoffe im Labor. Am Ende war die Konzentration der Desinfektionsmittel – von Handreinigungslösungen bis hin zu Sterilisierungsmitteln für das OP-Besteck – bis zu zehnmal niedriger als der angegebene Wert.


Jetzt gibt es erstmals Beweise

Die systematische Korruption im unterfinanzierten rumänischen Gesundheitssystem ist ein offenes Geheimnis. Jeder weiß, dass das schlecht bezahlte Krankenhauspersonal eine „Aufmerksamkeit“ erwartet, um Patienten zu behandeln oder überhaupt zu untersuchen. Im Internet kursieren die Summen, die bei diesem oder jenem Chefarzt fällig sind. Und jeder Rumäne weiß, dass in dem ohnehin klammen System auch noch Gelder durch überteuerte Beschaffungen oder undurchsichtige Verträge veruntreut werden.

Das Ausmaß konnten Medien und Experten allerdings bislang nur erahnen. Zum einen fehlten Beweise. Und zum anderen galt der Versuch vieler Ärzte, ihr mageres Einkommen aufzustocken, als irgendwie nachvollziehbar. Schließlich sind seit Rumäniens EU-Beitritt 2007 mehr als ein Drittel des medizinischen Personals nach Westeuropa ausgewandert. Ohne eine Angleichung an westeuropäische Gehälter würde eine konsequente Bekämpfung der Korruption dieses Ausbluten nur beschleunigen, so das Argument.

Doch seit der Brandkatastrophe im Bukarester Nachtklub „Colectiv“, die im vergangenen Herbst das Land erschütterte und die sozialdemokratische Regierung um Victor Ponta zum Fall brachte, kommen die Missstände im Gesundheitssystem immer häufiger ans Licht. Billiges Isoliermaterial in dem Gebäude hatte damals die Katastrophe begünstigt, auch das ein Fall von Korruption. Seitdem ist nämlich bekannt, dass die Notfallmediziner nicht in der Lage sind, umgehend zu reagieren und ein paar Hunderte schwerverletzter Patienten gleichzeitig zu behandeln: Damals wurden die meisten Brandopfer ins Ausland transportiert, weil rumänische Kliniken offenbar weder über die notwendige Ausstattung, noch über hinreichendes Personal verfügten.


Verdünnte Desinfektionsmittel - eine gängige Praxis?

Viele Verletzte, die weniger Glück hatten und in Bukarest behandelt wurden, starben in den folgenden Tagen oder Wochen – oft nicht an den Wunden, sondern an Infektionen aus den Kliniken. Der Anteil der rumänischen Patienten, die an Krankenhauskeimen sterben, ist der größte in der EU.

Nun deckte ein Team von investigativen Journalisten um den Publizisten und Blogger Catalin Tolontan vor einigen Wochen die Affäre um die verdünnten Desinfektionsmittel auf. Seitdem erscheint fast täglich eine neue Folge der Recherche. Immer mehr Personen, Firmen und Behörden geraten ins Visier. Wer von den zuständigen Kontrollbehörden wusste was zu welchem Zeitpunkt? Hat Hexi Pharma mit ihren 20 Prozent Marktanteil als einzige Firma betrogen oder ist die Verdünnung von Desinfektionsmitteln womöglich auch bei anderen Anbietern gängige Praxis? Wie tief sind Ärzte, Beamte und andere Unternehmer in den Betrug involviert?

Der gesellschaftliche Druck zumindest erhöht sich: Bereits seit der Brandkatastrophe im Nachtklub „Colectiv“ gehen die Menschen in Bukarest regelmäßig gegen Korruption auf die Straße. Gesundheitsminister Patriciu Achimas-Cadariu trat bereits Anfang Mai zurück. Auch die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen, und die mächtige Sonderabteilung für die Bekämpfung der großen Korruption (DNA) ließ Ende vergangener Woche vier Krankenhausdirektoren verhaften, nachdem Zeugenberichten zufolge Bestechungsgelder im sechsstelligen Bereich geflossen worden seien.


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