Gelenkte Geschichte
Er ist der erste Blickfang für alle Besucher Warschaus, die vom Hauptbahnhof aus auf die quirligen Straßen der Hauptstadt treten: der monumentale Kulturpalast, in den 1950ern als „Geschenk“ Stalins an die Polen errichtet. Das Wahrzeichen der Kapitale verengt sich nach oben hin zu einer Spitze, die wie ein Stachel aussieht. Als einen solchen, tief im Fleisch Polens sitzend, betrachtet ihn auch die regierende, nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS). „Wir ersetzen den Stalin-Palast durch das Warschauer Königsschloss“, twitterte der neue Chef des polnischen öffentlichen Fernsehens Jacek Kurski. Er tilgte als TV-Senderchef kurzerhand das Palast-Bild aus dem Einspielfilm der Hauptnachrichten – sofort nachdem die PiS im Januar die Kontrolle bei den öffentlich-rechtlichen Medien übernommen hatte.
PiS greift zum Radierer
Auch an anderen Stellen der jüngsten polnischen Geschichte greift die PiS seit ihrem Machtantritt vor einem halben Jahr zum Radierer. Vor kurzem beschloss sie, alle verbliebenen rund 500 Denkmäler, die an den Sieg der Roten Armee über die Nazi-Truppen in Polen erinnern, abzubauen – und sie in einem Freilichtmuseum zu deponieren. Auch Namen von Straßen und Plätzen, die an das „repressive, autoritäre Regimesystem von 1944 bis 1989“ erinnern, werden geändert. Die kommunistische Armee des Zweiten Weltkriegs wird dann ebenso aus dem öffentlichen Raum verbannt wie Rosa Luxemburg. „Als Mitbegründerin der kommunistischen Ideologie fällt auch sie unter das neue Gesetz, außerdem hat Rosa Luxemburg keine Verdienste für Polen“, sagt Pawel Ukielski.
„Der Westen hat die Unterwerfung nicht erfahren.“
Ukielski ist Vizechef des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), einer Art Stasi-Unterlagenbehörde und Zentrum zur Geschichtsaufarbeitung in einem. Die Arbeit des IPN ist politisch brisant, jüngst sorgte es mit der Veröffentlichung von Unterlagen für Aufsehen, die Solidarność-Ikone und Expräsidenten Lech Walesa belasten. Für die PiS dürfte das IPN künftig zum wichtigen Hebel bei der Neujustierung ihrer Geschichtspolitik werden. So hat sie ein neues IPN-Gesetz verabschiedet, das die Wahl des Institutschefs stärker als bislang in die Hände der Politik legt.
Ukielski ist lange vor dem PiS-Machtantritt zum IPN gekommen. Seine Argumente zur Entfernung von Denkmälern und Straßennamen klingen durchaus plausibel. „Westeuropa hat, außer dem Osten Deutschlands, den verbrecherischen kommunistischen Totalitarismus nicht selbst erfahren“, sagt er. Es gebe zwar Unterschiede zwischen dem Nazismus und dem Kommunismus. „Doch Polen erlebte eben nicht nur die Unterwerfung unter der UdSSR nach 1944, sondern schon zuvor den sowjetischen Überfall von 1939, massenhafte Deportationen oder das Verbrechen von Katyn.“
Nationales Gedenken ist nicht konservatives Denken
Ukielski äußert die dominierende Ansicht vieler Konservativer im Land. Die Regierenden in Warschau aber sind und denken nicht in erster Linie konservativ. Sondern national – in einem mitunter engen Sinne. Anfang Mai etwa beschloss Kulturminister Piotr Gliński ein bereits konzipiertes und im Bau befindliches Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig in seinem Rang abzuwerten und mit dem geplanten Westerplatte-Museum zu verschmelzen. Auch das Konzept soll sich ändern: Die PiS will den europäischen Ansatz schleifen. „Wir werden die Form des Museums ändern, so dass die Ausstellung den polnischen Standpunkt widergibt“, so PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski.
Die Pläne stoßen zwar auf Protest, einlenken dürfte die PiS indes kaum. Klar scheint, dass die Weltkriegsschau künftig im Schatten eines anderen Museums stehen soll: jenem zur Geschichte Polens in Warschau. Dessen Bau war während der ersten PiS-Regierung (2005 bis 2007) beschlossen worden. Im November 2018, zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität, soll der Komplex in Weichselnähe stehen. Die Ausstellung werde „keine scharfen, spaltenden Thesen formulieren“, sagt Museumsdirektor Robert Kostro. „Ich will nicht, dass Museen als ‚Parteien-Einrichtungen‘ gesehen werden.“
Schluss mit der Pädagogik der Schande
Den politischen Einfluss auf die Ausstellung dürfte Kostro dennoch zu spüren bekommen. Denn die PiS will Schluss machen mit der angeblich vorherrschenden, linksliberalen „Pädagogik der Schande“, also der kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte. Stachel wie den „Stalin-Palast“ gibt es einige: Filme wie das Oscar-prämierte Drama „Ida“ etwa, das die Komplexität der Beziehungen von Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg sowie polnische Verbrechen zeigt. Oder auch die weit verbreitete Ansicht, Täter und Mitläufer in der Zeit des Kommunismus seien nicht eindeutig von den aufrechten Regimegegnern zu trennen.
Zu letzteren zählen für die PiS die „verstoßenen Soldaten“ – Widerstandskämpfer, die seit 1944 im Untergrund bewaffnet gegen die neuen kommunistischen Machthaber vorgingen. Die Geschichte der einst verfolgten und vielfach ermordeten Soldaten wurde in Polen bislang weitgehend verdrängt. Viele von ihnen sind verdient, einige haben aber auch Verbrechen an Zivilisten verübt. Die Regierenden etablieren um sie jedoch einen unkritischen Kult, und inzwischen sehen auch Rechtsradikale die „Verstoßenen“ als Vorbilder.
Überhaupt wird ein schwarz-weißes Denken allmählich zur Doktrin. „Das Gute wird wieder vom Bösen getrennt“, sagte Jaroslaw Kaczynski bei einer Kundgebung im Mai. „Wir können von einer Wiedergeburt reden, davon, dass eine große, weiß-rote Bewegung entsteht.“ Für einen Teil der Polen klingen solche Worte wie Balsam. Für andere wie Bedrohung.
Bildnachweis:
Palast der Kulturen, Warschau: Jorge Lascar, CC BY-SA 3.0
Warschauer Königsschloss: CC BY-SA 3.0