Erst Masuren, dann nach Europa
Olsztyn (n-ost). Mikołajki (dt. Nikolaiken) ist ein kleines Nest im Herzen Masurens. Umgeben von drei Seen und eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft liegt eine idyllische Ruhe über dem 4000-Seelen-Städtchen im Nordosten Polens. Unterbrochen wird diese nur in den Sommermonaten, wenn tausende Touristen in das Segelparadies einfallen. Etwas abseits vom touristischen Treiben liegt auf einer sanften Anhöhe ein der Landschaft angepasstes, mehrstöckiges Flachdachgebäude mit Anbau: Die Marion-Dönhoff-Oberschule. Eine Schule mit hohen Ansprüchen. „Unsere Schüler sollen Multiplikatoren in Europa werden“. Dieses Ziel gibt der Deutsche Frank Dombrowski vor. Er ist Vorsitzender des Trägervereins der halbstaatlichen allgemeinbildenden Oberschule, die sich nach der „ZEIT“-Herausgeberin benannt hat.
Um Europa in einem der hintersten Winkeln Polens Wirklichkeit werden zu lassen, unternimmt die Schule seit einiger Zeit eine Reihe von Anstrengungen. Maximal 18 Schüler gibt es pro Klasse. Aus der ganzen Region werden die besten Lehrer angelockt und entsprechend bezahlt. Ein besonderes Augenmerk gilt den Deutsch- und Englischkenntnissen. Unter den 18 Lehrkräften sind fünf Germanisten, davon vier Muttersprachler. Sprachzertifikate wie das Deutsche Sprachdiplom 2. Stufe (DSD 2) ermöglichen den Absolventen ein Studium an einer deutschen Hochschule ohne lästige Sprachprüfung. Lang ist die Liste der Partnerschulen. Zahlreiche Plakate mit Presseartikeln an den Wänden des blitzblank geputzten Flures zeugen von den Kontakten nach Deutschland, Frankreich, Italien oder England. Nun planen die Schuloberen nach Dombrowskis Angaben eine Kooperation mit deutschen Firmen, die im deutsch-polnischen Geschäftsbereich operieren. Dadurch könnten Schüler bei den Unternehmen Praktika machen und leichter einen Berufseinstieg finden. Das Bemühen um eine solche europäische Orientierung lohne sich, wie der 63-jährige Dombrowski meint. Zehn Abgänger studieren an Universitäten in Köln, Heidelberg und der Viadrina (Frankfurt/Oder) oder arbeiten in Deutschland.
Das überdurchschnittliche Angebot hat seinen guten Preis. Und dies ist ein Problem in einer landschaftlich geprägten Region, die unter einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent leidet. Wenn das Internat Mai 2005 eingeweiht wird, zahlt eine polnische Familie etwa 800 Zloty (170 Euro) für den Schulbesuch eines Kindes, Übernachtung, Essen und Betreuung inklusive. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Monatsverdienst in Polen laut Warschauer Statistikamt derzeit bei brutto rund 2000 Zloty (etwa 435 Euro) liegt. „Wenig im Vergleich zu anderen Internaten, die bis zu 2400 Euro monatlich verlangen“, kontert Dombrowski. Abhilfe schaffen derzeit 20 Stipendien, die die Schule vergibt.
Doch der große europäische Gedanke, er entfaltet sich manchmal schwer in der Provinz. Die wirtschaftliche Misere drückt spürbar auf das Gemüt der im „Land der 1000 Seen“ lebenden Menschen. „Die Menschen sind frustriert, weil nichts funktioniert. Sie haben kein Vertrauen in die Politik und nur wenig Hoffnung, dass sich hier etwas ändert“, klagt Weronika Szeminska. Die 18-Jährige aus dem nahe gelegenen Mrągowo (dt. Sensburg) macht gerade Abitur an der Dönhoff-Schule. Die meisten der Schüler träumen davon, nach Schulabschluss ins Ausland zu gehen und dort zu arbeiten. Nichts wie raus hier sei das Motto vieler. Der EU-Beitritt komme daher gelegen. Auch die Vorzeigeschülerin nutzt die guten Verbindungen, die die masurische Eliteschule hat. Sie bemüht sich gerade um ein Stipendium für ein Studium in Deutschland.
Zu neuen Ufern macht sich auch die Dönhoff-Schule auf. Im Ruhrgebiet, wo sich im 19. und 20. Jahrhundert viele Bergbaukumpels aus Schlesien und Landarbeiter aus Masuren niederließen, will Dombrowski in der dortigen „Polonia“ werben. Dabei hilft auch der Name der Schule. „Die Werte, die Marion Gräfin Dönhoff verkörpert, sind dieselben, wie sie für Europa gelten. Deshalb sind sie auch heute noch aktuell“, sagt der gebürtige Königsburger, der ebenso aus dem ehemaligen Ostpreußen stammt wie die 2002 verstorbene „Europäische Patriotin“ (Bundeskanzler Schröder). Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte. Dafür stand Marion Dönhoff, die 1945 nach Westdeutschland flüchtete. Heute, knapp 60 Jahre später, wird nun Nachschub aus dem Westen für den Osten gesucht. Die meisten der 115 Schüler stammen aus der Umgebung. Ausnahmen jedoch gibt es immer wieder. Ein Schweizer Aussteiger, der mit seiner fünfköpfigen Familie, in einem 150 Kilometer entfernten Dorf an der litauischen Grenze wohnt, will seine älteste Tochter auf die Dönhoff-Oberschule schicken. Dies sei die beste Schule der Region, habe man ihm gesagt.
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