Votum über Flüchtlingspolitik
„Ich werde nicht zulassen, dass auch nur ein einziger Muslim über EU-Quoten hierher gebracht wird!“, ruft der slowakische Ministerpräsident Robert Fico vor rund 4.500 Menschen in einer Tennishalle in Bratislava. Es ist Mittwochabend, dies ist Ficos letzte Wahlkampfveranstaltung vor der Abstimmung am Samstag. Die Flüchtlingsfrage war das zentrale Wahlkampfthema des linkspopulistischen Regierungschefs und seiner Partei Smer-SD (Richtung-Sozialdemokratie), die seit 2010 mit aboluter Mehrheit regiert.
Seit Beginn der Migrationswellen zählt Fico zu den vehementesten Gegnern einer Quotenregelung zur gerechten Aufteilung von Flüchtlingen in Europa. Gemeinsam mit Viktor Orban ist er einer der stärksten Verfechter einer Abschottung der EU-Außengrenzen. „Die Idee eines multikulturellen Europa ist gescheitert. Die Migranten können nicht integriert werden, es ist einfach unmöglich“, kommentierte Fico etwa die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht.
Doch das Kalkül, durch die rigorose Ablehnung von Flüchtlingen erneut die absolute Mehrheit der Wählerstimmen zu gewinnen, scheint nicht aufzugehen: Je vehementer sich der slowakische Regierungschef gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stemmt, desto mehr Wähler wenden sich von ihm ab. Zwar gilt ein Wahlsieg von Ficos Smer-SD nach wie vor als sicher. Aber während Umfragen der Regierungspartei im Dezember noch 40 Prozent Zustimmung vorhersagten, sank sie zuletzt auf 32 Prozent. Gleichwohl befürworten 80 Prozent der Bevölkerung Ficos strikte Ablehnung von Flüchtlingen. Paradox?
Maßlos übertriebene Kampagne
„Es hat sich gezeigt, dass sich allein mit dem Flüchtlingsthema keine Wahlen gewinnen lassen“, sagt Grigorij Meseznikov vom Institut für öffentliche Angelegenheiten in Bratislava, einem politischen Think-Tank. Die erste Hysterie über die Flüchtlingswellen hätte sich relativ schnell als unbegründet erwiesen, weil bislang die Flüchtlingsrouten an der Slowakei vorbeiführen. Gerade einmal 330 Asylanträge wurden hier 2015 gestellt, nur acht davon bewilligt.
„Fico hat zwei Fehler gemacht“, erklärt der Journalist Milan Simecka. „Erstens hat er seine Hass-Kampagne gegen Flüchtlinge maßlos übertrieben.“ Und zweitens habe sich Fico gegen Europa gewendet. „Die Slowaken sind aber sehr Europa-optimistisch. Viele fangen jetzt an zu fürchten, dass Fico uns aus Europa rausdrängen will.“ Die Slowaken, sagt Simecka, lehnen zwar in Umfragen die Aufnahme von Flüchtlingen ab. „Aber als in den 1990er Jahren zehntausende Flüchtlinge vom Balkan hierher kamen und zum Teil blieben, hat sich niemand daran gestört“. Die jetzige negative Stimmung gegen Flüchtlinge werde von den politischen Eliten geschürt, meint auch Analyst Meseznikov, der vor fast 30 Jahren selbst aus der Sowjetunion in die Slowakei emigriert ist.
Potenzielle Flüchtlinge machten den Menschen heute weniger Sorgen als massive reale Probleme im Schul- und Gesundheitswesen. Die Proteste von Lehrern und Krankenschwestern kurz vor der Wahl, die Fico quasi ignorierte, fanden einen für slowakische Verhältnisse ungewöhnlich starken Rückhalt in der Bevölkerung.
23 Parteien zur Wahl
Die Parlamentswahlen am 5. März werden von vielen Beobachtern als Richtungswahl wahrgenommen. „Diese Wahlen sind historisch“, sagt der Architekt Matus Vallo. „Wenn die jetzige Regierung wiedergewählt wird, dann geht unser Land den Weg Ungarns oder Polens. Wir müssen es selbst in die Hand nehmen, das zu verhindern.“ Gemeinsam mit mehreren Freunden hat Vallo die Initiative Hrame o v’ela („Wir spielen um viel“) gegründet. Sie will über soziale Netzwerke und in direkten Gesprächen unentschiedene Bürger zur Wahl motivieren. Denn entscheidend für den Wahlausgang wird letztlich sein, wieviele Slowaken am Samstag tatsächlich ihre Stimme abgeben.
Neben Smer-SD kandidieren 22 weitere Parteien, die meisten haben wenig Chancen, die Fünfprozenthürde zu nehmen. Sollte Smer die absolute Mehrheit verfehlen, gilt rechnerisch eine Koalition mit der rechtspopulistischen Slowakischen Nationalpartei SNS am naheliegendsten. Oder ein Bündnis aller Parteien rechts der Mitte gegen Smer.
Vom Wahlausgang wird nicht zuletzt der Charakter der slowakischen EU-Ratspräsidentschaft abhängen, die im Juli beginnt. „Es wäre gut, wenn die Slowakei als Ratsvorsitzender auch andere Optionen aufzeigen würde als die eines Gegenblocks der Visegrad-Staaten innerhalb der EU“, sagt Meseznikov. „Wir sind der EU beigetreten, als das für uns sehr wichtig war. Jetzt haben wir Visegrad-Staaten die moralische Verpflichtung, der EU zu helfen.“