Alltag auf Sparflamme in Donezk
„Es war ein gewöhnlicher Sonntag, als der Krieg zu uns kam“, erzählt Ekaterina Belizkaja, Direktorin am Gymnasium in Schachtjorsk, einer Stadt östlich von Donezk. Sie selbst war gerade auf dem Markt, als im Juli 2014 plötzlich Gerüchte über Panzer auf der Hauptstraße die Runde machten. Kurz darauf begannen die Gefechte zwischen Einheiten der separatistischen Volksrepublik Donezk (DNR) und der ukrainischen Armee. Auch das Schulgebäude wurde getroffen. Glücklicherweise fand wegen der Sommerferien jedoch kein Unterricht statt, erzählt Belizkaja weiter.
Inzwischen sind die meisten Schäden wieder repariert, das Dach der Schule geflickt, die Fenster ausgetauscht. Die Direktorin weist auf ihre Büro-Ecke: Immergrüne Zimmerpflanzen, Nippes, dazwischen ein gerahmtes Portrait von Alexander Sachartschenko, dem Ministerpräsidenten der selbsternannten Volksrepublik Donezk.
Die Lage ist fragil
Zerschossene und ausgebrannte Gebäude erinnern auf der Fahrt zur Schule jedoch daran, dass der Konflikt im Donbass noch nicht vorüber ist. „Die Lage ist fragil und unberechenbar, kritischer als im vergangenen Herbst,“ sagt Olga Scripovscaia, Teamleiterin der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Donezk. Entlang der 500 Kilometer langen Front hätten die Partien in den vergangenen Monaten ihre Stellungen konsolidiert und stünden sich manchmal in einer Entfernung von nur wenigen hundert Metern gegenüber.
Vor dem Krieg zählte die Stadt Donezk etwa eine Million Einwohner. Verlässliche Angaben darüber, wie viele Einwohner die beiden durch Russland gestützten Volksrepubliken Donezk und das benachbarte Luhansk momentan zählen, gibt es nicht. Dank eines seit September geltenden fragilen Waffenstillstandes kehren zwar wieder Einwohner zurück. Einkaufszentren wurden wiedereröffnet, Kinos und Theater zeigen Vorführungen. Trotzdem sitzen in den Restaurants im Zentrum der Metropole kaum Gäste. Das öffentliche Leben läuft auf Sparflamme. Ab 22 Uhr herrscht Ausgangssperre. Viele Läden, die im zur Fußball-EM in der Ukraine 2012 eröffnet haben, stehen leer.
Von der separatistischen Volksrepublik führen nur wenige Straßen auf ukrainisches Gebiet. Stundenlange Wartezeiten sind an den Checkpoints die Regel. Fünf Stunden sind es an diesem Sonntag in der Nähe der Siedlung Marinka, westlich von Donezk. Offen ist der Übergang von acht bis 18 Uhr. Die Zustände sind chaotisch: Auf der kleinen Landstraße stauen sich die Autos in langen Schlangen, manchmal steht ein Fahrzeug quer, dazwischen immer wieder Gegenverkehr. Die Stimmung ist aufgeheizt, im Durcheinander wird eine Frau von einem Auto angefahren. Ein Schild warnt vor Minen entlang der Checkpoints. Auf beiden Seiten inspizieren Soldaten mit umgehängten Kalaschnikows die Autos, öffnen den Kofferraum.
Der Krieg hat die Menschen krank gemacht
Wirtschaftlich ist die Lage in der DNR schlecht. Seit einem Jahr zahlt die Regierung in Kiew keine Sozialleistungen mehr an die Bewohner der Separatistengebiete und errichtete eine Wirtschaftsblockade. Donezk ist komplett von Russland abhängig. Bezahlt wird bar in Rubel. Moskau zahlt nach monatelanger Ungewissheit in Donezk und Luhansk nun auch Pensionen, Sozialleistungen und die Löhne der Staatsangestellten. Auf insgesamt mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr werden die Kosten dafür geschätzt.
Aus Russland kommen auch Lebensmittel, humanitäre Hilfe zum Wiederaufbau und Medikamente, sagt Tatjana Saizewa, Chefärztin am Krankenhaus in der Kleinstadt Mospyne, südöstlich von Donezk. „Wir sind besser versorgt als vorher“, meint Saizewa. Es fehle jedoch an qualifizierten Ärzten. Bei den Zurückgebliebenen sind die gesundheitlichen Folgen des Krieges spürbar. „Die Kinder sind psychisch labiler“, sagt Saizewa. Aber auch in bei den 40 bis 50-Jährigen würden mehr Todesfälle durch Herzinfarkte und Schlaganfälle verzeichnet, erzählt die Ärztin weiter.
Kritiker werden ausgewiesen
Internationale Hilfsorganisationen dürfen in der DNR nur eingeschränkt arbeiten. Einzig das Internationale Rote Kreuz und die tschechische NGO „People in Need“ haben eine Akkreditierung erhalten. Aktivisten vor Ort klagen über Druck. Zuletzt wurde der Organisation „Verantwortungsvolle Bürger“ die Arbeit verboten. Ein Mitglied sitzt immer noch in Haft, mehrere wurden gezwungen, Donezk zu verlassen. Sie dürfen nicht mehr zurückkehren.
„In Donezk herrscht eine Militärdiktatur“, sagt Natascha von „Verantwortungsvolle Bürger“. Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen. Menschen mit pro-ukrainischer Gesinnung trauten sich nicht, diese zu äußern. Der Krieg und die Wirtschaftsblockade hätten die Menschen voneinander entfremdet, sagt die junge Frau. Inzwischen ist Natascha ebenfalls ausgewiesen worden.
Nach fast zwei Jahren Krieg sind viele in der DNR der Politik und Propaganda überdrüssig. Frieden, Stabilität, ein Arbeitslatz sind die drängendsten Wünsche. Eines wissen aber alle: Entscheidend wird sein, wie lange Russland die Separatistengebiete in der Ostukraine noch unterstützt. „Zwei Wochen könnte die DNR überleben, wenn Moskau den Geldhahn zudreht“, sagt Roman Sapryka, Geschäftsmann aus Donezk. Trotzdem will er seine Chance nutzen und ein leerstehendes Restaurant wiedereröffnen. Zumindest die Musik- und Beleuchtungsanlage haben den Test bestanden: Discoklänge und Strandbilder lassen Wirtschaftsblockade und Krieg kurz vergessen.
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Quellen:
Eigene Interviews in Donezk im Februar 2016