Mit Verboten gegen Religion
„Da drüben ist Afghanistan“, sagt Nabi und zeigt mit seiner Hand auf einen schwarzen Zaun am anderen Ufer des Pandsch. Der Fluss bildet im Süden Tadschikistans, vier Autostunden von der Hauptstadt Duschanbe entfernt, die natürliche Grenze zwischen den beiden Ländern. Erst letztes Jahr seien die Amerikaner von dort abgezogen. Nabi weist auf die Umrisse einer ehemaligen Militärbasis. „Wir hören nur Schüsse und Explosionen von den Kämpfen“, sagt Nabi. Angst hat er nciht. Die Taliban blieben auf ihrer Seite der Grenze, Tadschikistan sei ruhig.
Nabi ist der Leiter einer kleinen Firma. Was er an der Grenze produziere, will er nicht sagen. Zwei Baubaracken in der kargen, wüstenähnlichen Landschaft dienen ihm und seinen Mitarbeitern als notdürftige Behausung. Der direkte Zugang zur Grenzsiedlung Pandschi Pojon ist durch Stacheldraht und Schlagbäume versperrt.
Die instabile politische Situation in Afghanistan und die schwierige Wirtschaftslage in Tadschikistan haben den Verkehr an der Grenze fast zum Erliegen gebracht. Vor zwei Jahren hätten täglich noch zwischen 100 und 200 Lastwagen die sogenannte „Freundschaftsbrücke“ in beide Richtungen überquert, nun sind es gerade mal ein Dutzend, heißt es.
Moscheeverbot für Minderjährige
Knapp 1.400 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan, über weite Strecken verläuft sie durch unwirtliches Hochgebirge. Drogenschmuggel ist hier ein lukratives Geschäft. Durch Tadschikistan führt eine der wichtigsten Routen, auf der Heroin aus Afghanistan nach Europa gelangt. An der Grenze kommt es deswegen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Um Pandschi Pojon ist es im Moment allerdings ruhig.
Das könnte sich ändern, sagt Scherali Rizojew vom staatlichen Zentrum für Strategische Forschung in Duschanbe: „Vor allem im Norden Afghanistans sind verschiedene verbotene Gruppen wie der Islamische Staat zuletzt aktiver geworden“, so der Politologe. Er befürchtet, diese könnten sich mit oppositionellen Gruppierungen in Tadschikistan verbünden und die Lage destabilisieren. Den blutigen Bürgerkrieg in den 1990er Jahren haben die Menschen nicht vergessen, sagt Rizojew.
Der seit 1992 mit eiserner Hand regierende Präsident Emomali Rachmon geht unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung rigoros gegen die Opposition und religiöse Gruppen vor. Im vergangenen Herbst wurde die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans nach einem angeblichen Putschversuch für illegal erklärt und ihre gesamte Führungsriege von mehr als 20 Personen verhaftet. Die große Mehrheit der Tadschiken sind Anhänger des sunnitischen Islam. Alle Aspekte religiösen Lebens unterliegen mittlerweile strikten Gesetzen: Minderjährigen ist es seit 2011 untersagt, eine Moschee zu betreten, Frauen ebenso. Zu westliche oder zu islamisch-traditionelle Kleidung ist ebenfalls verboten. Studentinnen dürfen keinen Hijab tragen und wer einen zu langen Bart hat, muss damit rechnen, von der Polizei angehalten zu werden.
Weiterreise nach Syrien
„Durch den Kampf gegen den Terror fühlt Rachmon sich stark. Andere Probleme, etwa die Wirtschaft, interessieren ihn nicht mehr“, sagt Saimuddin Dustow, Unternehmer aus Duschanbe. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut, Arbeitsplätze gibt es kaum. Mehr als eine Million der rund 8,5 Millionen Tadschiken arbeiten im Ausland, die meisten im Niedriglohnsektor in Russland. Darunter sind viele junge Männer. Ihre Überweisungen sind wichtige Einkommensquellen für die Familien zu Hause. Aufgrund der Wirtschaftskrise in Russland fließt nun jedoch weniger Geld nach Tadschikistan. Viele Arbeitsmigranten haben ihre Jobs verloren und kehren in die Heimat zurück.
Doch manche nehmen einen anderen Weg. Immer wieder berichten tadschikische Medien und Experten, dass sich Arbeitsmigranten in Russland dschihadistischen Gruppen anschließen und nach Syrien und in den Irak weiterreisen. Wie viele genau, ist unklar. Das staatliche Religionskomitee spricht von 450 Personen, andere Quellen gehen von mindestens 600 tadschikischen Kämpfern aus.
„Mindestens 13 Leute sind aus meinem Bezirk nach Syrien gefahren“, erzählt Safar Dawlat, der bis vor einigen Monaten als Imam in der Nähe von Duschanbe tätig war. Viele Familien sorgen sich um ihre Kinder. Dawlat verlor seine Arbeit, weil er sich weigerte, beim Freitagsgebet den vom Staat vorgegebenen Text zu verlesen. Seit er nicht mehr predigen darf, weiß er nicht, wie er die Menschen erreichen soll, die sich empfänglich für radikales Gedankengut zeigen. „Mit ihren Verboten erreichen die Behörden das Gegenteil. Sie treiben die Menschen in die Radikalisierung“, ist Dawlat überzeugt.
Bereits vor seiner Entlassung geriet er ins Visier des Geheimdienstes. Das Minarett seiner Moschee sei zu auffällig und von der Hauptstraße her zu sehen, sagten die Sicherheitsbeamten. Touristen würden hier Terroristen vermuten. Widerwillig lenkte Dawlat ein und ließ das Minarett abreißen. Hinter vorgehaltener Hand wird jedoch erzählt, es seinen nicht die Urlauber, sondern Präsident Rachmon, der auf der Route zu seiner luxuriösen Residenz kein Minarett sehen möchte.
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Quellen:
Eigene Interviews in Duschanbe, Chudschand und Pandschi Pojon