Mazedonien

Frontstaat gegen Flüchtlinge

Als der ungarische Regierungschef Viktor Orban am vergangenen Freitag im slowenischen Brdo pri Kranju vor die Presse trat, formulierte er kurz und hart: Die Migrantenflut könne nur gestoppt werden, wenn die Grenze Bulgariens und Mazedoniens zu Griechenland abgeriegelt werde – über die gesamte Länge. Orban war zu einer gemeinsamen slowenisch-ungarischen Regierungssitzung gereist. Sein slowenischer Amtskollege Miro Cerar pflichtete ihm bei. Einen Tag später schrieb Cerar einen Brief an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, in dem er forderte, Mazedonien stärker dabei zu unterstützen, Flüchtlinge aufzuhalten.

Das Nicht-EU-Mitglied Mazedonien wird derzeit von osteuropäischen EU-Ländern zum Front- und Pufferstaat gegen Flüchtlinge aufgerüstet – ausgerechnet an der Grenze des EU- und Schengen-Mitgliedes Griechenland: Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und Kroatien schicken regelmäßig Einheiten von Grenzpolizisten, die ihren mazedonischen Kollegen helfen. Ungarn lieferte im Dezember hundert Kilometer Nato-Draht, tausende Betonpfeiler sowie Spezialbaumaschinen nach Mazedonien, ungarische Experten helfen beim Bau neuer Grenzzäune.

Schon seit längerem haben die osteuropäischen EU-Mitglieder Griechenland in der Frage des Grenzschutzes abgeschrieben und unterstützen stattdessen aktiv Mazedonien. Westliche EU-Länder schauten bisher wohlwollend zu – obwohl sie die Abschottungspolitik der Osteuropäer öffentlich lange kritisierten. Inzwischen hat sich überall in der EU Unmut über Griechenland breitgemacht. Die Idee, Mazedonien zum Frontstaat zu machen, findet vermehrt Anhänger. So etwa erwägt die EU einen Einsatz ihrer Grenzschutzagentur Frontex in Mazedonien – obwohl sie eigentlich nur auf EU-Territorium arbeiten darf.


Klassische Realpolitik

Mazedonien würde das begrüßen. Die Regierung in Skopje fordert von der EU schon seit Längerem vehement umfangreiche logistische und finanzielle Hilfe dafür, dass es Pufferstaat spielen soll. Dabei ist der wesentliche Grund, aus dem Mazedonien sich bereitwillig zum Frontstaat machen lässt, innenpolitischer Natur: Seine Machthaber hoffen, die autoritär-nationalistische Entwicklung im Land kaschieren zu können.

Einst war Mazedonien aussichtsreicher EU-Kandidat. Doch Griechenland blockierte Aufnahmeverhandlungen wegen eines Streits um den Staatsnamen Mazedonien. Im Jahr 2006 kam Nikola Gruevski als Regierungschef an die Macht und errichtete ein Klientel-Regime. Er ließ Wahlen fälschen, Kritiker inhaftieren, Medien, Justiz und Staatsapparat unter seine Kontrolle bringen. Zwar trat Gruevski Mitte Januar als Regierungschef zurück – so sah es ein Abkommen zwischen Regierung und Opposition zur innenpolitischen Demokratisierung Mazedoniens vor, das die EU vermittelt hatte. Doch Gruevski lenkt das Land aus dem Hintergrund weiter. Faire Wahlen, wie im Abkommen vorgesehen, wird es wohl nicht geben.

Wenn die EU sich auf einen Grenzschutzdeal mit Mazedonien einlasse, legitimiere sie das undemokratische Regime im Land, sagt der mazedonische Publizist Saso Ordanoski. Er wirft der EU Doppelmoral vor und kritisiert, dass sie immer mehr zu klassischer Realpolitik zurückkehre, anstatt jene Wertepolitik zu machen, die sie doch formal vertrete. Er glaubt auch nicht, dass Mazedonien als effektives Bollwerk funktionieren könne. „Wir sind ein viel zu kleines Land, um einen Ansturm von zehntausenden Flüchtlingen zu bewältigen. Letztlich würde unser Land durch ein solches Szenario noch mehr destabilisiert werden.“

So ähnlich sieht es auch die ungarische Ko-Vorsitzende des Helsinki-Komitees Marta Pardavi: „Orban exportiert Abschottungspolitik, und das ist keine nachhaltige Lösung, sondern ein Sicherheitsrisiko für den Balkan.“

Ginge es nach Orban selbst, dann sollte sich die EU schnellstmöglich auf einen Deal mit Mazedonien einlassen. Bereits Ende November – als er Nikola Gruevski mit großer Herzlichkeit in Budapest empfing – sagte er, im Rahmen der Lösung der Flüchtlingskrise müsste Mazedonien in die EU und die Nato aufgenommen werden.

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Quellen:

- fortlaufende Berichterstattung osteuropäischer Medien zur Flüchtlingspolitik und Unterstützung Mazedoniens
- eigene Gespräche mit Experten und Beobachtern (Saso Ordanoski, Marta Pardavi u.a.)


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