Ukraine

Durch ihre Augen

Rund eine Million Binnenflüchtlinge sind derzeit offiziell in der Ukraine registriert. Die tatsächliche Zahl geflüchteter Menschen liegt jedoch viel höher. Vier von ihnen erzählen anhand von Fotos, wie sie dem Krieg entkommen sind – und nun neu anfangen. Sie zeigen uns das Wichtigste, was sie in ihr neues Leben mitgenommen haben. Teilen, was ihnen derzeit Freude bereitet. Sie blicken zurück auf ihre Heimatstädte und zeigen, wohin es sie verschlagen hat. Lebenswege in Bildern.

Alte und neue Heimat: Die Karte zeigt, wohin Natalja, Serhij, Julia und Ljubow fliehen mussten. Dunkel hinterlegt ist das Gebiet, das derzeit von Separatisten kontrolliert wird. / Karte: n-ost (Kartenmaterial: GinkgoMaps)

Natalja, 27 Jahre

Ich heiße Natalja, bin 27 Jahre alt und komme aus Altschewsk im Osten der Ukraine. Unsere Stadt mussten wir, mein Mann, meine Tocher und ich, im August 2015 verlassen. Altschewsk wurde durch den Krieg nicht besonders beschädigt, doch die gesamte Atmosphäre war so mies, dass wir endlich umziehen mussten. Vor allem für unsere Tochter. Wir haben unsere Jobs verloren, unsere Eltern sind dort geblieben. Ich will, dass meine Tochter eine echte Zukunft hat, die es in Altschewsk nicht mehr gibt. Nun wohnen wir in der Großstadt Charkiw. Das Leben hat sich normalisiert. Aber der Schmerz bleibt.

Ein Bild aus dem Juli 2014, der Konflikt im Donbass lief schon seit Monaten. Eva und ich spielen bei uns in Altschewsk, nicht weit enfernt von unserer alten Wohnung.

 

Mein Laptop ist das Wichtigste, was ich nach Charkiw mitgebracht habe. Dort habe ich alle Fotos und Erinnerungen – vor allem die, die mit der Geburt meiner Tochter zu tun haben.

Und hier ist sie, unsere Tocher Eva. Sie ist nun drei Jahre alt. Eva ist unser Glück und unser Lächeln.

 

Dies ist unsere neue Wohnung in Charkiw. Sie ist wirklich die Unsere geworden, auch wenn wir sie nur mieten. Charkiw ist wie eine zweite Heimat.

Serhij, 38 Jahre

Ich heiße Serhij, bin 38 und komme aus Luhansk. Dort bin ich geboren und aufgewachsen. Ein Umzug kam für mich nie in Frage, in Luhansk war ich sehr glücklich. Ich arbeitete als Rettungssanitäter, veröffentlichte Gedichte und spielte am unseren Theater. Auf einmal kam aber der unverständliche Krieg: Unser Haus wurde zweimal beschossen, im August 2015 mussten wir letztendlich fliehen. Nun wohne ich in Tschernihiw im Norden des Landes, arbeite wieder als Sanitäter und bin froh, dass ich in Sicherheit bin. Doch glücklich kann ich so weit weg von Luhansk nicht sein. Es ist eine schwere und einsame Zeit.

Gute alte Zeiten in Luhansk. Unser kleines Rettungsteam vor dem Einsatz. Obwohl ich nie eine medizinische Ausbildung absolvierte, wurde ich als Sanitäter durchaus geschätzt.

Viel habe ich nicht nach Tschernihiw mitgebracht, meinen Rechner allerdings schon. Der ist richtig alt – und trotzdem unendlich wichtig. Denn er ist mein Weltspiegel.

Ohne Theater kann ich nicht. Theaterstücke bereiten mir die meiste Freude. Hier stehe ich vor dem Stadttheater von Tschernihiw.

Das Schönste, was meine neue Stadt Tschernihiw zu bieten hat: die Pjatnizkaja Kirche. Ein ruhiger Ort, der glücklich macht.

Julia, 15 Jahre

(Name auf Wunsch von der Redaktion geändert)

Ich bin Julia und 15 Jahre alt. Ich musste meine Heimatstadt Luhansk verlassen, weil dort ein tödlicher Krieg herrscht. Ich erinnere mich gut an den Moment des Umzugs: Ich saß mit meiner Mutter und meiner Großmutter in der Küche, wir quatschen, aßen Erdbeeren – und plötzlich explodierte etwas im Nachbarhaus. Wir verließen die Stadt mit einem einzigen Koffer. Weil wir dachten, dass wir schnell zurückkommen. Jetzt sind wir im westukrainischen Luzk. Was, wenn wir nie mehr zurückkommen? Trotzdem führe ich ein normales Leben. Ich spiele regelmäßig Fußball in unserem Hof und gehe oft in den lokalen Zoo. Tiere sind meine große Liebe.

Hier bin ich mit meiner Schulfreundin Darja. Sie ist in Luhansk geblieben, weil ihre Mutter eher prorussisch ist. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr. Aber ich hoffe sehr, dass ich mal nach Luhansk zurückkehre und wir uns wiedersehen.

Mitgenommen habe ich meine Puppe Glascha. Ja, ich bin schon 15 Jahre alt, aber ich war noch 14, als wir Luhansk verließen. Glascha erinnert mich an meine Kinderzeit in Luhansk.

Dass ich nun in Luzk wohne ist wohl auch meine größte Freude. Denn die Stadt ist sehr ruhig und friedlich. Im Lesja-Ukrainka-Park steht ein Engel, der mich an Puschkin erinnert.

Ich habe ein Foto in der ukrainischen Nationalkleidung ausgewählt, weil die Ukraine meine Heimat ist. Das wusste ich schon immer.

Ljubow, 34 Jahre

Mein Name ist Ljubow, ich bin 34 Jahre alt und komme aus Selidowo, einer Kleinstadt bei Donezk. Im Juli 2014 war ich im siebten Monat schwanger – und in unserer Wohnung gab es seit Monaten kein Leitungswasser mehr. Das war eine recht gefährliche und ungesunde Situation, mein Mann und ich mussten endlich eine Entscheidung treffen. So sind wir nach Kupjansk-Wuslowyj im Nordosten gefahren, wo mein Mann Verwandten hat. Zwei Monate später wurde unsere kleine Tochter Mascha geboren, das glücklichste Ereignis unseres Lebens. Ich kümmere mich nun hier um sie und um unsere ältere Tocher Katja. Ich bin jetzt, ehrlich gesagt, extrem erleichtert.

Ein Foto von 2013, das ich mir ohne Tränen nicht angucken kann. Hier bin ich in der damals noch friedlichen Stadt Donezk zu sehen. Der letzte Sommer vor dem Krieg, der unser Leben komplett veränderte.

Nach Kupjansk-Wuslowyj habe ich das Wichtigste mitgenommen, was ich in meinem Leben habe: Meine ältere Tochter Katja und die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborene Mascha. Dieses Bild entstand zwei Wochen nach unserer Flucht.

Mascha ist jetzt ein Jahr alt. Sie spielt gerne mit unserer Katze Alisa, die wir auch aus Selidowo mitgenommen haben. Eine echte Freundschaft!

Unsere neue Stadt Kupjansk-Wuslowyj ist wirklich sehr klein, doch sie ist auch unglaublich gastfreundlich. Wir wurden hier fantastisch aufgenommen.


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