Sieg mit Zugeständnissen
Diesen Tag hätte der Moderator Nikos Aggelidis sich nie träumen lassen. Am 11. Juni 2015 um sechs Uhr morgens verkündete er im Fernsehen lapidar: „Sie sehen ERT“, bevor er live die ersten Frühnachrichten im auferstandenen griechischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen präsentierte.
Es war keine besonders professionelle Sendung, sagt er. Schon auf dem Weg ins Rundfunkhaus hat Aggelidis, ein gut trainierter Endvierziger, geweint. So ging es den ganzen Tag: Tränen der Freude, des Triumphes, der Erleichterung flossen. Exakt zwei Jahre zuvor hatte die damalige Regierung angeordnet, die als journalistisch solide, aber auch als behäbig geltende Sendeanstalt zu schließen, um die Sparauflagen zu erfüllen – ein beispielloser Schritt in Europa. Die ERT-Mitarbeiter hielten monatelang das Haus besetzt, bis die Polizei im November 2013 räumte. Ein Kern machte weiter, im Internet und im weiterhin offenen Kanal ET3. Nun war der Kampf zu Ende. „Ein Sieg“, sagt Aggelidis.
Doch es war auch eine schmerzvolle Wiedervereinigung verfeindeter Lager von ERT-Mitarbeitern, die sich bis dahin an der Mesogeion-Straße im Athener Nordosten gegenüberstanden. Links, in Räumen der Gewerkschaft, die Redaktion der standhaft Gebliebenen wie Aggelidis. Sie gründeten aus Protest gegen die Schließung den Internetsender ERTopen und erfanden sich dort neu: basisdemokratisch organisiert und „nah an den Menschen“, wie Aggelidis es nennt. Auf der rechten Straßenseite sammelten sich im früheren ERT-Gebäude die „Verräter“, die sich von der Regierung zum neuen, geschrumpften Staatssender NERIT hatten abwerben und damit politisch kaltstellen lassen.
Die zweite Geige
Eigentlich sollten die NERIT-Redakteure im wiederbelebten Sender nur die zweite Geige spielen, wäre es nach dem Willen der Kämpfer gegangen. Aber es kam anders im Juni. Außer Aggelidis haben nur drei weitere Sprecher und Moderatoren zuvor nicht für NERIT gearbeitet.
Aggelidis hatte Glück. Er konnte sein Team, das sich in der Zeit der Besetzung formiert hatte, behalten. Die anderen konnten das nicht. Die Forderung an die Regierung, die eigenen Chefs künftig selbst zu wählen, verhallte. Zudem ernannte Ministerpräsident Tsipras mit Lambis Tagmartarchis einen Direktor, der schon zu Zeiten der konservativen Regierung an der Spitze von ERT stand.
Aggelidis und seine Kollegen haben in den vergangenen zwei Jahren viele Freunde im Sender verloren. „Wir gerieren uns nicht als Sieger“, sagt er. Aber warm ist die Atmosphäre nicht. Man kommuniziert auf professioneller Ebene. Manche im Haus reden auch gar nicht mehr miteinander. Dafür sei das Fernsehen freier geworden. „Ich kann sagen, was bei Syriza schlecht läuft, und niemand ärgert mich.“ Aggelidis ist Kommunist, jeder wisse das. Früher hatte er deswegen Probleme.
Flüchtlingshilfe im Fernsehstudio
Der Schwesterkanal ET3 in Thessaloniki hat sich während der Besetzung viel Vertrauen erarbeitet. Der Berg an Kleiderspenden, der sich im Foyer des Gebäudes türmt, sei ein Beweis, sagt die Journalistin Kristina Sinagidou. Menschen haben die Spenden für Flüchtlinge abgegeben, die täglich nach Griechenland kommen. Im Gegensatz zur Redaktion Athen hat die Polizei das ET3-Gebäude nie geräumt.
Zusammen mit nur vier Journalisten und einigen Technikern bespielte Sinagidou ET3 als Piratensender täglich mit Nachrichten und Live-Reportagen von Demos, Arbeitskämpfen und den Wahlen. Das Fernsehteam wuchs über sich hinaus.
Am 11. Juni 2015, dem Tag der Wiedereröffnung, übertrug der Sender die Party live. Jede soziale Bewegung hatte ihren eigenen Tisch: Gegner von Privatisierung und Zwangsräumung, Gewerkschafter, Umweltaktivisten. Jene Kollegen, die vorher für NERIT gearbeitet hatten – etwa die Hälfte der Belegschaft – verschwanden jedoch früh. Zu groß war das Misstrauen.
Mehr als eine Randnotiz?
Den Erfahrungsschatz der zwei Jahre hätte man nutzen und einen neuen Sender gründen sollen, resümiert Sinagidou. Daran hatte die Regierung kein Interesse. Im Programm hielt sich neben einem Gesellschaftsmagazin, das Sinagidou präsentiert, nur eine Dokureihe. Deren Macher haben sich als Chronisten sozialer Kämpfe gegen Krise und Kapitalismus einen Namen gemacht. Bleibt vom Kampf um das griechische Staatsfernsehen mehr als eine Randnotiz, dessen Ausgang sich die Syriza-Regierung als Erfolg zunutze machte?
Ein Problem ist weiterhin das Geld. Man erzählt sich, die Regierung wolle ET3 zu einem Korrespondentenbüro zusammenkürzen. Das entspricht weder Sinagidous journalistischem Anspruch, noch Nikos Aggelidis’ Vorstellung von Bürgernähe. „Es ist noch nicht das ERT, das wir uns wünschen”, sagt er.