Polen

Volksdeutsche und Vegetarier

popolskudeutsch

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Wenn Sie diesen Text lesen, werden im Internet sicher ein paar, vielleicht auch ein paar Dutzend Einträge auftauchen, in denen man mich beschuldigt, Polen verraten zu haben – weil ich es gewagt hätte, mein Land bei den Deutschen anzuschwärzen. Mit ziemlicher Sicherheit wird auch das Wort „volksdeutsch“ fallen, dieses Synonym für Verrat und Kollaboration, das noch aus der Zeit der deutschen Besatzung stammt. 

Unter den Anhängern von Recht und Gerechtigkeit (PiS), der in Polen alleinherrschenden Partei, sind Leute, die regelmäßig ausländische Internetportale durchforsten und Alarm schlagen, wenn sie wieder einen Verräter ertappt haben. Ein Kollege, der für „Die Zeit“ über Polen schreibt, hat im Netz ein Foto von französischen Frauen entdeckt, denen man nach der Befreiung die Köpfe rasiert hatte, weil sie mit Deutschen ins Bett gegangen waren. Und zwischen diese Frauen hatte jemand ein Foto des Kollegen montiert. Was haben wir gelacht. 

Ich will nicht klagen, um Himmels Willen. Nein, ich fühle mich geradezu geehrt. Aber leid tut es mir auch. Schließlich hätte ich nicht einmal in meinen schwärzesten Albträumen gedacht, dass wir in Polen die Demokratie, die wir 26 Jahre lang aufgebaut haben, einmal vor der Regierung verteidigen müssten. 


Nichts Kritisches, bitte

Genauso wenig hätte ich gedacht, dass ein Anhänger irrer Verschwörungstheorien, der behauptet, Präsident Lech Kaczynski sei in Smolensk von den Russen ermordet worden, einmal Verteidigungsminister würde. Und ein wegen Amtsmissbrauchs Verurteilter der Koordinator der Geheimdienste. Dass ein Außenminister Fahrradfahrer und Vegetarier als seine Feinde erachtet. Dass die neue Regierung das katholische Fernsehen mit seiner Hetzjagd auf PiS-Gegner zum Musterbeispiel für objektiven Journalismus erklärt. Und dass PiS-Politiker unverblümt von Journalisten fordern, nichts Kritisches mehr über sie zu schreiben. 

Aber genau so ist es gekommen.

Um die Solidarnosc schlechtzumachen, verbreitete die Regierung im Kommunismus Zeichnungen vom „Baum des Volksverrats“. Jetzt hetzen die PiS-Anhänger auf Twitter oder Facebook gegen uns und machen uns zu „Volksdeutschen“. Angestachelt werden sie von Vizepremier Mateusz Morawiecki, der öffentlich bedauert, dass man heute mit der Verunglimpfung seines eigenen Landes zu kämpfen habe. 


Eine schrecklich nette Familie

Das Ziel war damals dasselbe wie heute: die Unbeugsamen erschrecken und mundtot machen. Denn wie viel leichter hätte es die PiS, wenn das Ausland nicht wüsste, was in Polen vor sich geht. 

Doch das Ausland weiß es, und es weiß dieses Wissen zu nutzen. EU-Kommission und Europaparlament wollen sich die Situation in Polen einmal genau ansehen, in den westlichen Medien häufen sich die kritischen Kommentare, immer mehr europäische Politiker verlieren die Geduld. 

Ich verstehe die Empörung des Westens voll und ganz. Wir sind eine große Familie. Es ist normal, dass die Verwandten eingreifen, nachsehen, zu Hilfe kommen, wenn einem ihrer Nächsten Schlimmes geschieht. Und dass ein Verwandter, wenn er sich danebenbenimmt, Ermahnungen zu hören kriegt. Ermahnungen, die schärfer werden, wenn er nicht reagiert. 


Offizielles Schweigen

Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs, die geplante brutale Übernahme der öffentlichen Medien widerspricht den Werten des vereinten Europa. Ebenso widerspricht dem Geist der europäischen Demokratie die Methode, mit der die PiS das Recht ändert: im Eiltempo, über Nacht, womit der Opposition jedes Recht auf Diskussion genommen wird. Die angekündigten Gesetze, die auf Eilabstimmungen in Sejm und Senat warten, sollen die Kompetenzen der Geheimdienste erweitern, die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft beenden, private Medien repolonisieren. 

Und wer weiß, was dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, der Premierministerin Beata Szydlo und Präsident Andrzej Duda lenkt wie Marionetten, noch so alles in den Sinn kommt. In Polen ist etwas sehr Schlimmes im Gange. Gut, dass Europa reagiert. Von der Familie ist in schweren Zeiten Hilfe zu erwarten. 

Doch man sieht, dass die Deutschen – ausgenommen deutsche Politiker in europäischen Strukturen – sich fürchten, Polen laut zu ermahnen. Als die PiS von 2005 bis 2007 zum ersten Mal regierte, startete die Regierung immer wieder Angriffe gegen die Deutschen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Jetzt will Berlin offenbar einen verbalen Schlagabtausch vermeiden. Wenn es endlich zu einem Treffen zwischen Premierministerin Szydlo und Kanzlerin Merkel kommt, wird die deutsche Regierungschefin dem Gast aus Polen klipp und klar sagen, was sie von der Politik der PiS hält. Offiziell jedoch wird Berlin sich in Schweigen hüllen. 


Bewunderung für den Botschafter

Dafür sorgt schon der deutsche Botschafter in Warschau, der nach wie vor meint, bei den deutsch-polnischen Beziehungen ließe sich die Katastrophe vermeiden, und sogar die Lokalpolitiker um Zurückhaltung bittet. Er glaubt fest daran, dass zwei wichtige europäische Länder es schon schaffen werden, irgendwie zusammenzuarbeiten. 

Meine Bewunderung für den Botschafter, aber die Katastrophe lässt sich nicht vermeiden. Die Feindseligkeit den Deutschen gegenüber sitzt bei den PiS-Politikern tief. Was auch immer sich Schlimmes ereignet, die Deutschen werden schuld daran sein. Jaroslaw Kaczynski hat Polen vor nur wenigen Jahren als „deutsch-russisches Kondominium“ bezeichnet. Sein Leibwächter Jaroslaw Brudzinski sagte am Sonntag, weder deutsche Propagandablätter noch mickrige Beamtenfritzen hätten Polen zu diktieren, was es zu tun habe.

Das Presseorgan der PiS, „Gazeta Polska Codziennie“, zeigte auf dem Titelblatt ein Foto von deutschen Soldaten, die im September 1939 einen polnischen Grenzpfahl zerbrechen; die Wehrmachtssoldaten tragen die Gesichter von Angela Merkel, Günther Oettinger, Martin Schulz. Ein PiS-Staat wird Krieg gegen die Deutschen führen, und sei es um frei erfundene Dinge (2007 wurde Berlin beschuldigt, in Deutschland lebende polnische Kinder zu germanisieren). Ob Berlin dann schweigt oder nicht, hat keine Bedeutung. 


Ein müdes Lächeln

Doch die Stimme aus Deutschland gießt auch kein Öl mehr ins Feuer. Während der Präsidentschaftswahlen vor zehn Jahren setzte der sogenannte „Wehrmachtsopa“ der Kandidatur von Donald Tusk (heute Vorsitzender des Europäischen Rats) ein jähes Ende – also die Tatsache, dass Tusks Großvater unter Zwang in die deutsche Armee eingegliedert worden war. Doch das Land ist inzwischen immun gegen solcherart Propaganda. Die Schreckensszenarien, Deutschland könnte Polen Stettin wieder wegnehmen oder Merkel verdanke ihre Karriere dunklen Mächten, entlocken uns nur noch ein müdes Lächeln. Zwischen Polen und Deutschland ist in den vergangenen Jahren viel Gutes passiert. 

In den 1980-er Jahren traf eine Flut von Hilfspaketen aus Deutschland im geknechteten Polen ein. Jetzt braucht Polen Solidarität, Unterstützung, moralischen Beistand. Deswegen bitte ich die Deutschen, nicht zu schweigen.
Was die Zukunft betrifft, bin ich Optimist. Die Polen waren bis jetzt die Gesellschaft mit der stärksten pro-europäischen Orientierung in der EU. Dass die PiS die Parlamentswahlen gewonnen hat, bedeutet nicht, dass das polnische Volk Europa den Rücken gekehrt hat. Die Menschen haben nicht diese Partei gewählt. Im Wahlkampf hat die PiS schließlich noch versichert, sich geändert zu haben, weniger radikal zu sein. Jetzt, wo Polen, mit Kaczynski als Fadenzieher, die europäischen Werte über Bord wirft und auf Konfrontationskurs mit Brüssel geht, wird der Widerstand gegen die Regierung wachsen. 

Die polnische Bürgergesellschaft hat bei den Demonstrationen im Dezember mit ihrer Stärke überrascht. Und das war erst der Anfang.

Aus dem Polnischen von Lisa Palmes, n-ost


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