Mit „Soli-Seife“ aus der Krise
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Mit Kurzfassung
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Das Haus in der Aristotelous-Straße im Athener Stadtteil Halandri ist ein Zeichen der nun sechs Jahre dauernden Wirtschaftskrise. Unten ein leerstehendes Ladenlokal, im oberen Stockwerk die „Erste Nachhilfe-Kooperative Halandri”. Nikos Sarafianos, ein stämmiger Mann mit Locken, unterrichtet hier die erste Generation Jugendlicher, die mit der Krise aufwächst. In Griechisch und Latein, manchmal auch Geschichte. Vor allem will er ihr Selbstbewusstsein stärken, viele brächten von zu Hause die Depression mit, sagt er. „Nehmt euer Leben in die Hand, ihr verdient ein besseres!” lautet seine Botschaft.
Vor drei Jahren hat Sarafianos sich das selbst gesagt. Damals war er arbeitslos. An den Schulen gab es keine Chance mehr auf einen Job. Mit Privatstunden konnte sich Sarafianos kaum über Wasser halten, Kollegen ging es ähnlich. Außerdem konnten sich viele Eltern die teure Nachhilfe für ihre Kinder nicht mehr leisten. So taten sich Eltern und Lehrer in Halandri zusammen. Die Idee: nicht nur etwas für sich tun, sondern für die Gesellschaft.
Vierzig Schüler, meist zwischen 15 und 18, lernen hier mit zehn Lehrern. „Frontistirio”, private Nachhilfe, gehört in Griechenland zum Stundenplan fast jedes Jugendlichen dazu. Ohne Nachhilfe hat man schlechtere Chancen, die Aufnahmeprüfung an der Universität zu bestehen. Die Eltern zahlen in der Kooperative nur die Hälfte des üblichen Marktpreises: 100 Euro monatlich für zwei Stunden Unterricht in der Woche. Das deckt die Kosten.
Kooperation in der Krise
In der Krise haben viele Griechen erfahren, dass aus Solidarität und Gemeinsamkeit ein Mehrwert entsteht. Seit 2011 gibt es ein Gesetz über Kooperativen und damit eine rechtliche Form für soziale Non-Profit-Unternehmen. Seitdem schließen sich Olivenbauern zusammen, entlassene Buchhändler gründen Verlage für alternative politische Bücher, die stärker als früher nachgefragt werden.
„Beruflich war ich immer ein Einzelkämpfer und habe darunter gelitten. Aber erst der finanzielle Druck gab den Impuls, meine Situation zu verändern”, sagt auch Lehrer Sarafianos. Über den lokalen Aktionsradius hinaus will er die Idee solidarischen Wirtschaftens populär machen. Die Kooperativen unterstützen sich gegenseitig, und im vergangenen Jahr zeigte die Halandri-Kooperative eine Comic-Ausstellung zum Thema.
Gesamtwirtschaftlich sind Kooperativen bislang zwar ein Nischenphänomen, aber ihre Strahlkraft ist oft groß. Viele Aktivisten vernetzen sich mit Bewegungen gegen die Sparpolitik – wie etwa die Beschäftigten der Fabrik VIOME in Thessaloniki, die mittlerweile europaweit bekannt ist. Die Arbeiter des einstigen Baustoffherstellers besetzten die Fabrik, als diese vor vier Jahren pleiteging. 21 Ehemalige kämpfen seitdem dafür, dass das Fabrikgelände samt Beständen auf ihre neu gegründete Arbeiterkooperative übertragen wird. Mit den alten Maschinen und Unterstützern von außen haben sie neue Produkte entwickelt: Reinigungsmittel auf natürlicher Basis. In den Lagerhallen reift jetzt „Soli-Seife”, das Vorzeigeprodukt von VIOME, das über linke Netzwerke längst auch in Deutschland erhältlich ist.
Internationale Solidarität
Die Arbeiter bewachen Tag und Nacht das Gelände, als wäre es eine Festung. „Der Insolvenzverwalter kann jeden Moment vor der Tür stehen”, sagt Dimitris Koumatsiolis, ein früherer Angestellter, den die Krise zum Aktivisten gemacht hat. Von „Kampf” und „Solidarität” spricht er viel. Die Vollzeit-Arbeiter wie Koumatsiolis zahlen sich 15 Euro pro Tag aus. Ein Problem ist der juristische Streit mit den Alt-Eigentümern: Gerade hat das Gericht wieder die Zwangsversteigerung verschoben. Wie schon oft kamen hunderte Unterstützer, um für VIOME zu demonstrieren.
Die Kooperative ist noch lange nicht rentabel, aber das symbolische Kapital des Arbeitskampfs ist groß. Die T-Shirts mit dem Rad, dem VIOME-Logo, sind beliebt. Linke aus ganz Europa unterstützen das Projekt, teilweise mit Geld, auch die Globalisierungskritikerin Naomi Klein war schon zu Besuch.
Der Ausgang des Experiments VIOME hat Signalwirkung. Mehrere Fabriken haben in den vergangenen fünf Jahren geschlossen, die Arbeitslosigkeit in der Region Thessaloniki liegt bei über 30 Prozent. Noch vor dem Regierungswechsel hatte die Syriza-Partei von Alexis Tsipras den VIOME-Arbeitern ein Gesetz in Aussicht gestellt, das die Nutzung der Fabrik ermöglichen sollte. Jetzt will sich die linke Regierung plötzlich nicht mehr einmischen.
Nachhilfelehrer Sarafianos ist trotzdem zuversichtlich, dass es weitergeht für ihn und seine Kollegen. Denn immer mehr Menschen in Griechenland hätten verstanden, dass es nicht weitergeht wie bisher.
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Kurzfassung:
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Das Haus in der Aristotelous-Straße im Athener Stadtteil Halandri ist ein Zeichen der nun sechs Jahre dauernden Wirtschaftskrise. Unten ein leer stehendes Ladenlokal, im oberen Stockwerk die „Erste Nachhilfe-Kooperative Halandri”. Nikos Sarafianos, ein stämmiger Mann mit Locken, unterrichtet hier die erste Generation Jugendlicher, die mit der Krise aufwächst. In Griechisch und Latein, manchmal auch Geschichte. Vor allem will er ihr Selbstbewusstsein stärken, viele brächten von zu Hause die Depression mit, sagt er. „Nehmt euer Leben in die Hand, ihr verdient ein besseres!” lautet seine Botschaft.
Vor drei Jahren hat Sarafianos sich das selbst gesagt. Damals war er arbeitslos. An den Schulen gab es keine Chance mehr auf einen Job. Mit Privatstunden konnte sich Sarafianos kaum über Wasser halten, Kollegen ging es ähnlich. Außerdem konnten sich viele Eltern die teure Nachhilfe für ihre Kinder nicht mehr leisten. So taten sich Eltern und Lehrer in Halandri zusammen. Die Idee: nicht nur etwas für sich tun, sondern für die Gesellschaft.
Vierzig Schüler, meist zwischen 15 und 18, lernen hier mit zehn Lehrern. „Frontistirio”, private Nachhilfe, gehört in Griechenland zum Stundenplan fast jedes Jugendlichen dazu. Ohne Nachhilfe hat man schlechtere Chancen, die Aufnahmeprüfung an der Universität zu bestehen. Die Eltern zahlen in der Kooperative nur die Hälfte des üblichen Marktpreises: 100 Euro monatlich für zwei Stunden Unterricht in der Woche. Das deckt die Kosten.
2011 trat in Griechenland ein Gesetz über Kooperativen in Kraft und damit eine rechtliche Form für soziale Non-Profit-Unternehmen. Seitdem schließen sich beispielsweise Olivenbauern zusammen und entlassene Buchhändler gründen Verlage für alternative politische Bücher, die stärker als früher nachgefragt werden. „Beruflich war ich immer ein Einzelkämpfer und habe darunter gelitten. Aber erst der finanzielle Druck gab den Impuls, meine Situation zu verändern”, sagt auch Lehrer Sarafianos. Jetzt unterstützt er andere Gründer. Gesamtwirtschaftlich sind Kooperativen bislang zwar ein Nischenphänomen, aber ihre Strahlkraft ist oft groß.
Kooperation in der Krise
Viele Aktivisten vernetzen sich mit Bewegungen gegen die Sparpolitik – wie etwa die Beschäftigten der Fabrik VIOME in Thessaloniki, die mittlerweile europaweit bekannt ist. Die Arbeiter des einstigen Baustoffherstellers besetzten die Fabrik, als diese 2011 pleiteging. 21 Ehemalige kämpfen seitdem dafür, dass das Fabrikgelände samt Beständen auf ihre neu gegründete Arbeiterkooperative übertragen wird. Mit den alten Maschinen und Unterstützern von außen haben sie neue Produkte entwickelt: Reinigungsmittel auf natürlicher Basis. In den Lagerhallen reift jetzt „Soli-Seife”, das Vorzeigeprodukt von VIOME, das über linke Netzwerke längst auch in Deutschland erhältlich ist.
Ein großes Problem ist allerdings der juristische Streit mit den Alt-Eigentümern. Gerade hat das Gericht wieder die Zwangsversteigerung verschoben. Hunderte Unterstützer demonstrierten für VIOME, Linke aus ganz Europa unterstützen das Projekt. In der Region Thessaloniki liegt die Arbeitslosigkeit bei über 30 Prozent. Noch vor dem Regierungswechsel hatte die Syriza-Partei von Alexis Tsipras den VIOME-Arbeitern eine politische Lösung in Aussicht gestellt, ein geplantes Gesetz sollte die Nutzung der Fabrik ermöglichen. Jetzt will sich die linke Regierung plötzlich nicht mehr einmischen.
Nachhilfelehrer Sarafianos ist trotzdem zuversichtlich, dass es weitergeht für ihn und seine Kollegen. Denn immer mehr Menschen in Griechenland hätten verstanden, dass es nicht weitergeht wie bisher.