Griechenland

Europa, ein Traum

Drei Dutzend Iraner stehen schweigend auf den Gleisen. Vor einer Reihe mazedonischer Polizisten brüllen ebenso viele Pakistanis. Dahinter rollt ein Pferdefuhrwerk vorbei, der darauf sitzende Bauer schaut irritiert. Auf den Bahngeleisen im Niemandsland zwischen Idomeni auf der griechischen und Gevgelija auf der mazedonischen Seite zeigt sich derzeit die ganze Tragik der Flüchtlingskrise.

Seit Monaten ziehen die Migranten durch die Grenzorte auf dem Weg nach Westeuropa. Vor zwei Wochen machte die mazedonische Regierung die Grenze für „Wirtschaftsflüchtlinge“ dicht – und das sind aus Sicht Skopjes alle, die nicht aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan stammen. Nur sie werden noch durchgelassen. Alle anderen bleiben im griechischen Idomeni hängen – egal, ob sie vor Krieg, Verfolgung oder bitterster Armut geflohen sind. An die 1.000 Menschen sitzen hier fest, seit 12 Tagen.


Wenn nur einer zuhören würde

Sechs große Zelte haben Hilfsorganisationen aufgebaut. Die allermeisten Menschen hausen aber unter Planen, in rissigen Zelten. Und sie alle suchen dasselbe: Freiheit, Würde. Nur die allerwenigsten sagen: Ein besseres Leben.

Shamal Rabbi aus Bangladesch war 25 Tage unterwegs. Durch Indien, Pakistan, den Iran und die Türkei, um genau hier zu landen. Er hat, so sagt er, seine Vergangenheit hinter sich gelassen, um eine Zukunft zu suchen. „Die EU war mein Traum“, sagt er jetzt auf dem Bahndamm stehend, schlotternd von der vergangenen Nacht. Ausgeträumt hat er nicht. „Sie werden“, so sagt er, und verbessert sich, „nein, sie müssen die Grenze aufmachen.“ Als Anhänger der Opposition sei er politisch verfolgt in seiner Heimat. „Wenn nur einer zuhören würde“, sagt er.

Weil keiner zuhören wollte, haben sich sechs Iraner vor einer Woche in dem Lager den Mund zugenäht. Ein Flüchtling sagt, sie hätten das getan, weil man hier wie mit einer Wand spreche: Bestenfalls erhalte man ein Echo, aber keinesfalls eine Antwort.


Sie protestieren täglich

Schweigend oder in Sprechchören demonstrieren sie so täglich vor der Polizeiabsperrung der Mazedonier. Erst abends versuchen immer wieder einige, den mazedonischen Polizisten in die Finsternis auf der anderen Seite der Grenze zu entkommen.

Amir kommt aus Teheran. Er trägt eine schicke schwarze Brille, Kapuzenjacke Jeans. Er sitzt auf den Gleisen neben den Männern, die sich den Mund zugenäht haben. Der Grund, weshalb er seine Heimat verlassen hat: „Dort kann ich nicht singen.“ Er liebe Hip-Hop. Es einfach rauszubrüllen und nicht verstecken zu müssen, das sei sein Traum. Außerdem: „Mit meiner Freundin ganz offen auf der Straße gehen zu können.“ Und: „Iin einer Bar ein Bier zu trinken.“ Seine Freundin sei aber noch in Teheran und warte auf Nachricht – am besten aus Berlin.

Jetzt sitzt Amir aber hier fest seit acht Tagen, kalten Stahl unter dem Hintern und keine Aussicht auf ein Weiterkommen. „Ist dieser Ort hier eigentlich Europas Anfang oder Europas Ende?“, fragt er. Aus seinem Blick ist nicht abzulesen, ob er sich seiner Wortgewalt bewusst ist.


Alles war brennt, kommt ins Feuer

Gerade ein mal vier Busse mit Polizisten haben die griechischen Behörden beim Camp positioniert. Helfer klagen über „spürbares Desinteresse“ der Beamten, sich bei den Abläufen hier einzubringen. „Was sie sehen, das machen sie“, sagt ein Helfer mit einer Handgeste in Richtung der Busse, in denen Polizisten in Straßenkampf-Ausrüstung gelangweilt sitzen. „Alles andere machen wir.“

„Wir“, das sind etliche Organisationen. Angefangen bei Rotem Kreuz und Ärzte ohne Grenzen, UNHCR, bis über private lokale Initiativen und deutsche Freiwillige. Auch die Heilsarmee ist vor Ort. Und selbst die Zeugen Jehovas.

Als die Sonne untergeht, legt sich dicker Rauch über das Wäldchen um die Bahngeleise. Plastiksäcke, Holz, alles was brennt und Wärme bringt, wird ins Feuer geworfen. Einige Gestrandete versuchen eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Steine fliegen, ein Zaun wird weggerissen. Einigen soll es gelungen sein, durchzudringen. Nach wenigen Minuten bringen mazedonische Polizisten einige Männer zurück. Das war es für heute. Zurück ans Feuer und hoffen auf eine trockene Nacht.



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